Schattenlord 7 - Das blaue Mal
abweisenden Mauerwerk. Ich kenne Leute, die ungerührt einen Völkermord initiieren würden, bloß, um in den Besitz eines Kubikmeters Schutt dieser Wehr zu gelangen.
»Es missfällt dir, was du siehst?«, fragte Baran interessiert.
»Ich frage mich, warum die Steine so wenig Licht reflektieren.«
»Reflexionen sind nicht gut«, antwortete der Kleine missmutig. »Die Splitter wurden mit einem magischen Schleier belegt, um stumpf zu wirken.«
»Und warum?«
Baran erwiderte nichts auf ihre Frage. Stattdessen tat er eine weitere ungeduldige Handbewegung, um sie Richtung Tor zu scheuchen.
Drei weitere Kuttenträger umringten ihn mit einem Mal. Wo waren sie hergekommen? Völlig unvermittelt waren sie aufgetaucht, wie aus dem Nichts erschienen. Sie standen da, regungslos, und wandten sich Zoe zu.
Ihre feinen Nackenhärchen stellten sich auf. Sie fühlte, wie die Gänsehaut über den Rücken immer weiter nach unten glitt. Von diesen Elfen ging etwas aus, was ihr keinesfalls behagte und all ihre Sinne in Alarmzustand versetzte.
Die Männer hielten die Köpfe gesenkt, die Ärmel ihrer weit geschnittenen Gewänder hatten sie ineinander verschränkt. Augen leuchteten aus dem Halbdunkel ihrer Kapuzen hervor, viel heller, als es der Fall sein durfte.
»Ich komme schon«, sagte Zoe gehorsam, umrundete die Neuankömmlinge in weitem Bogen und stellte sich vor das Tor.
»Du musst laut klopfen«, wies Baran sie an. »Und merk dir den Rhythmus.«
Warum in aller Welt musste sie an »Take Five« des »Dave Brubeck Quartetts« denken? Zoe interessierte sich kaum für Jazz und schon gar nicht für Musik, die aus der Steinzeit stammte.
Sie klopfte den Rhythmus des ersten Taktes mit den Fäusten gegen das massive Holz.
Eine hohle Stimme fragte: »Wer begehrt Einlass?«
War sie etwa, ohne es zu ahnen, in eine Schmierenkomödie geraten? »Eine Wanderin, hungrig und den Unbilden des Wetters ausgesetzt, wartet vor dem Tore«, sagte sie mit Pathos in der Stimme. »Ich bitte Euch, hoher Herr, gewährt mir Zutritt zu Eurer bescheidenen Hütte.«
Schweigen. Zoe hatte den Fragesteller aus der Fassung gebracht. Gut so!
Nach einer Weile tönte nochmals dieselbe Stimme, diesmal etwas lauter und ungeduldiger: »Wer begehrt Einlass?«
Baran trat neben sie und stieß sie an. Sein so vornehm geschnittenes Gesicht war puterrot angelaufen, er schien seinen Zorn kaum unterdrücken zu können. Alle Freundlichkeit und Höflichkeit war aus seiner Stimme verschwunden, als er leise sagte: »Du bist dir deiner Lage wohl noch immer nicht bewusst, Weib! Du wirst nun eine vernünftige Antwort geben und auf dein Blaues Mal hinweisen. Hast du mich verstanden?«
»Ich ...«
»Du scheinst zu glauben, dass du etwas Besonderes darstellst. Doch du unterliegst einem Irrtum. Dort, wo du herkommst, gibt es genügend andere, die wir für unsere Zwecke verwenden können.«
Zoe fürchtete sich mit einem Mal. Etwas an Baran jagte ihr höllische Angst ein. Sie überragte den Zeremonienmeister um mehr als einen Kopf, und doch schlotterten ihre Knie. Baran zeigte sein wahres Gesicht. Da war Kälte. Grausamkeit. Erbarmungslosigkeit.
Sie nahm ihren Mut zusammen und murmelte: »Dann sag mir bitte schön, wofür du und deine Begleiter mich benötigen. Vielleicht können wir uns arrangieren ...«
»Es gibt kein Arrangement, Herrin! Es hat dich vorerst nicht zu interessieren, was wir von dir wollen. Das wirst du rasch genug erfahren. Also: Du benimmst dich jetzt anständig - und ich werde mich nicht mit meinen Fingern in deine Eingeweide wühlen. Du stellst keine Fragen mehr - und du wirst es bis in deine Gemächer schaffen, ohne dass ich dir einige Knochen breche. Du gehorchst widerspruchslos meinen Anweisungen - und du erlebst womöglich den morgigen Tag.«
Zoe schwieg. Sie ahnte, nein, sie wusste, dass es der Kleine ernst meinte. Er strahlte etwas aus, was sie denken ließ, im Vergleich zu ihm ein Winzling zu sein.
»Wer begehrt Einlass?«, tönte ein drittes Mal dieselbe Stimme.
»Die Frau mit dem Blauen Mal«, gab Zoe mit zittriger Stimme zur Antwort.
»Gut so«, meinte Baran. »Ich sehe, du bist lernfähig.«
Das Tor öffnete sich zögernd. Mehr als ein Dutzend Männer mit bis zum Zerreißen angespannten Muskeln schoben die beiden schweren Hälften auseinander. »Tritt ein, Herrin!«, sagte der Fragesteller, ein verhutzeltes Männchen mit ausgeprägtem Buckel. »Willkommen im Palast Kariëm.«
Er winkte sie an sich vorbei und deutete auf einen Mann, der im
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