Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
die Darsteller schminkten und für ihre Auftritte umzogen. Styroporköpfe mit blonden, gelockten, schwarzen und grauen Perücken standen vor den Spiegeln. Vier Metallgestelle mit an die vierzig, fünfzig Kleidern, Jacken und Blusen standen im Raum verteilt. Es roch nach Puder und nach zu viel und zu billigem Parfüm. Martin setzte sich auf einen der Stühle.
»Also, was wollen Sie wissen? Fassen Sie sich bitte kurz. Man wartet auf mich.«
»Was tun Sie hier so?«
»Ich bin Souffleuse.« Wieder hob sie ihr Textbuch. Mit gelbem und orangefarbenem Textmarker waren wichtige Szenen markiert.
»Sagt Ihnen der Name Frank Reichstein etwas?«
»Reichstein, Reichstein… Der Dozent?«
»Nein, eher Schauspieler. Als Statist, wie man mir sagte.«
»Wann soll das gewesen sein?«
»Vor einem, eineinhalb Jahren etwa.«
Die Dürre zuckte gelangweilt die Achseln.
»Wir haben immer ziemlich viele Statisten hier. Die kommen von der Casting-Agentur und hauen ziemlich schnell wieder ab. Zu kleine Gage, zu wenig Ruhm. Die kommen hier mit Vorstellungen an, das glauben Sie nicht. Sind angefixt von DSDS und Germanys next Topmodell. Aber dass Schauspielerei harte Arbeit ist, das kriegen die erst nach zwei, drei Wochen mit und dann haben die schon keine Lust mehr. Wir sind ständig auf der Suche nach talentierten Leuten, die etwas länger durchhalten.« Die Blonde warf ihr Haar zurück. »Wie sah er denn aus? Hat er sonst noch was gemacht bei uns?«
»Er wollte Visagist werden oder Schauspieler, Hauptsache Theater. Ungefähr eins achtundsiebzig groß, kurze Haare, braune Augen, flatterhafter Typ. War hier mit einem Karl-Heinz Lamprecht befreundet.«
Ein junger Mann um die zwanzig kam um die Ecke und suchte in der Fülle der Kleidung nach einer passenden Jacke. Die letzten Sätze von dem Gespräch hatte er mitbekommen. Er kam zwischen den Garderobenständern hervor.
»Ich kannte Karl-Heinz und Frank.«
Martin sah zu ihm auf und war beeindruckt von der Schönheit dieses Mannes. Nicht im erotischen Sinn, sondern von der Erscheinung an sich. Alles an ihm strahlte Würde und Ästhetik aus. Ein Mann für die Bühne, der die Zuschauer verzauberte.
»Die beiden waren ein sonderbares Team. Frank bewunderte Karl-Heinz abgöttisch. So bescheuert der Name für einen jungen Kerl auch war, Karl-Heinz war ein großer Künstler. Man konnte ihm jede Rolle geben. Nach kurzer Zeit konnte er den Text auswendig und konzentrierte sich auf das Spielen. Er konnte komisch sein oder eine Charakterrolle füllen, ganz egal. Ich fand ihn toll.«
»Und dieser Reichstein bewunderte ihn«, wiederholte Martin leise. »Was ist aus den beiden geworden? Wissen Sie das?«
Der junge Schauspieler schüttelte zaghaft den Kopf und sah zu Jacqueline, der Souffleuse.
»Sie hatten an einem Nachmittag mal heftigen Streit, das weiß ich noch. Haben sich fast geprügelt. Lamprecht wurde für eine Hauptrolle ausgewählt und Reichstein bekam eine winzige Nebenrolle. Die Bewunderung von Reichstein ging irgendwann in Neid über, so eine Art Hass-Liebe, wissen Sie.«
Martin nickte.
»Wenn Frank nicht spielen durfte, weil vielleicht gerade keine Rolle zu ihm passte, wollte er alles über den Beruf des Visagisten lernen. Wissbegierig war er ja, das musste man ihm lassen. Wie man Masken herstellt, Perücken frisiert, schminkt. Wie man die Mimik benutzt, um Wirkung zu erzielen. Er hat sogar Sprechunterricht genommen. Ich glaube, er wollte einfach nur gern ein anderer sein, als er war. Er fühlte sich vom Leben ausgegrenzt, hatte er mir mal gesagt.«
Martin schlug die Beine übereinander und dachte nach.
»Bitte, wenn Sie uns nun entschuldigen wollen. In drei Tagen ist Generalprobe und wir haben noch eine Menge zu arbeiten.« Die dürre Blonde legte einen niedlichen, hündischen Blick auf.
Martin verstand und erhob sich. Er wollte gern ein anderer sein, hallte es in seinem Kopf nach. Ja, das passte.
»Was ist aus den beiden geworden? Kann ich diesen Lamprecht irgendwo finden? Haben Sie seine Adresse noch in Ihrer Kartei?«
Der junge Mann antwortete: »Lamprecht ist eines Tages nicht mehr wiedergekommen. Hat uns eine Woche vor der Aufführung vom Faust hängenlassen. Wir konnten in der Kürze der Zeit seine Rolle nicht neu besetzen und mussten absagen. Wir sind hier nur ein kleines Theater. Da zählt jeder. Ich habe ihn damals total oft angerufen, aber er war nicht zu erreichen. Irgendwann hab ich es gelassen.«
»Seine Adresse?«
»Ist vorne in der Kartei. Jacqueline,
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