Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
räumen lassen. Ein Saustall, sage ich Ihnen.«
»Hatte er keine Verwandten?«
»Na, Sie fragen ja Sachen. Bin ich hier die Amme von allen Schwuchteln, die hier rein- und rausmarschieren? Nee, bin ich nicht.« Die Alte schnippte die Asche vor Martins Füße. Eine nonverbale Aufforderung zu verschwinden.
»Na gut, danke. Sie haben mir sehr geholfen.« Er verbarg die Ironie nicht. Sie merkte es nicht.
»Schon gut, Kleiner. Hab ich doch gern gemacht.« Sie war im Begriff, die Tür zu schließen, und als er sich umdrehte, warf sie einen lüsternen Blick auf seinen Hintern. Wieder eine vermodernde Erinnerung an frühere Zeiten.
Martin stapfte ein weiteres Stockwerk hoch und schellte in der Wohnung direkt über Frau Schüttler. Ein Mann mit dickem Bauch, weißem, fleckigem Feinripp-Unterhemd, Glatze und Doppelkinn öffnete. Das zu kurze Unterhemd gab einen unästhetischen Blick auf den behaarten Nabel frei, in dem sich baumwollene Flusen vom Shirt gesammelt hatten.
»Kripo Hamburg. Guten Tag. Sind Sie der Nachmieter von Karl-Heinz Lamprecht?«
Der Dicke verengte die Augen, der Mund war leicht geöffnet, die Winkel hingen herunter; zwei tiefe rötliche Furchen wie rostige Abflussrinnen führten zum Kinn. Er wirkte wie eine Dogge vor dem Biss mit sabbernden Lefzen.
»Weiß ich doch nicht. Die Bude war leer, als ich einzog, und kein Schild an der Tür.«
»Sie wissen also nicht, wer hier vorher gewohnt hat?«
»Nee, hab ich doch grade gesagt.«
Martin kam sich albern vor. »Gab es keine Postnachsendungen, Rechnungen, die weitergeleitet werden mussten, oder so?«
Die Dogge schüttelte den Kopf, alles an seinem Gesicht schwappte hin und her.
»Okay, das war’s auch schon. Vielen Dank für Ihre Hilfe.«
Martin verließ das Haus mit nur wenigen Informationen, die ihm weiterhelfen würden. K.-H. Lamprecht, ein homosexueller Künstler, na toll. Jemand, der mit Männern rumhing und Frank Reichstein war vermutlich einer von ihnen.
Verdammt. Er würde ihn fragen müssen.
Da er nun schon in Hamburg Mitte war, würde er in zwanzig Minuten bei Jerome sein können.
Kapitel 40
Juli 2011, Hamburg
Martin fand auf dem großen Gelände das Haus, in dem sich Jerome mehr schlecht als recht eingerichtet hatte, mühelos wieder. Verschiedene Leute stoben an Martin vorbei, als gäbe es ihn gar nicht. Sie trugen schmutzige Kleidung, gingen irgendeiner Art von Arbeit nach und blickten durch ihn hindurch. Sie grüßten nicht. Martin begriff, warum Jerome bisher unentdeckt geblieben war. Wie auf einer unbewohnten Insel, auf der nur Eidechsen und Schlangen seinen Weg kreuzten.
Martin sah sich nach allen Seiten hin um, niemand war zu sehen, schlüpfte zwischen Containern hindurch und kletterte durch das Fenster ins Innere des Hauses. Zum ersten Mal nahm er es bewusst wahr, unverhüllt, ohne Jutesack über den Kopf gestülpt und vor allem allein, ohne Eile. Im Erdgeschoss herrschte dieselbe Temperatur wie draußen, nur der Wind verstummte unter Protest. Ein leises Heulen, wie ein Weinen zwischen zerborstenen Glasscherben, war das Einzige, was von ihm übrig geblieben war.
Der Raum, in den er einstieg, war so trostlos, menschenverachtend und abweisend, dass niemand auf die Idee kommen würde, dass hier eine Menschenseele leben würde. Ein geniales Versteck, das musste Martin erneut gestehen. Lautlos schlich er durch die Flure, die Sicht war schlecht, schummerig trüb. Wenn er Jerome richtig einschätzte, hatte er ihn schon längst bemerkt, seine Anwesenheit auf einem seiner Monitore schmunzelnd wahrgenommen – sofern er zu Hause war. Den grünen Golf hatte Martin nicht gesehen, doch das musste nichts heißen. Jerome parkte ihn aus Sicherheitsgründen immer woanders.
Während Martin durch die Flure streifte, fiel ihm ein süßlicher Geruch auf, den er mit dem Jutesack über seinem Kopf nicht wahrgenommen hatte. Es roch feucht, nach Schimmel, nach einem verwesenden Tier; einer Maus, einer Ratte vielleicht. Gerüche nach altem, nicht geheiztem Haus, Spuren von Ammoniak wie Urin, nichts Besonderes vermutlich. Und doch gab es da eine Komponente, die er kannte, von irgendwoher, die ihm bekannt vorkam. So wie andere sich keine Zahlen merken konnten, konnte er sich keine Gerüche einprägen.
Schlecht für einen Ermittler, einen Spürhund.
Je tiefer Martin ins Innere des Hauses eindrang, desto finsterer wurde es. In dieser Etage herrschten ausschließlich das Chaos und die Auswirkung von Zerstörung. Glassplitter, Steine, die von
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