Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
Mordkommission erblickt, nur nicht die eines Vorgesetzten, der ihn zu seinem persönlichen Feind erklärt hatte und nun – augenscheinlich ertrunken – am ansonsten friedlichen schilfbewachsenen Ufer der Hamburger Außenalster lag.
Pohlmann versuchte, die wenigen Fakten, die sein Kollege Hartleib ihm per Handy eine Stunde zuvor übermittelt hatte, zu reflektieren: Spaziergänger, älteres Ehepaar – er mit Kordhut aus dem vorigen Jahrtausend, beiger Popelinjacke und erkaltetem Zigarrenstummel im Mundwinkel. Sie mit violett gefärbten schütteren Locken, die blasse Kopfhaut nur unzureichend bedeckend, rotem Stockschirm und zwanzig Jahre zuvor nutzlos gelifteten Falten. Beide trugen Rindslederschuhe mit Kreppsohlen. An der Leine hinter sich herzerrend einen ähnlich betagten, laufunwilligen, weil an grauem Star erkrankten, weißen Spitz.
Zu allem Verdruss, den das Alter so mit sich brachte, hatten sie unglücklicherweise die Leiche von Klaus Schöller gefunden: Bei einem verweilenden Blick über das Gewässer war trotz Fehlsichtigkeit einem der beiden aufgefallen, dass etwas leuchtend Gelbes zwischen den rechts von ihnen befindlichen Schilfhalmen an der Wasseroberfläche dümpelte.
Die zwei wurden inzwischen von einem Seelenklempner psychologisch betreut. Obwohl, ein Gutes hatte es – für Gesprächsstoff in den nächsten Jahren war für sie hinlänglich gesorgt.
Die ersten Beamten vor Ort, die von den tapferen alten Leuten mittels eines einfachen Handys mit übergroßer Tastatur, das sie von einem Enkel geschenkt bekommen hatten, hinzugerufen worden waren, hatten den schwammigen Körper des vorübergehenden Abteilungsleiters der Mordkommission Hamburg-Mitte, zu allem Überfluss Sohn des Polizeipräsidenten, mittels einer langen Alustange mit einem Haken am Ende an Land gezogen.
Werner Hartleib, ebenfalls langjähriger Ermittler, wurde sofort aus dem Wochenende zurückgerufen, der seinerseits Martin Pohlmann bei einem Stadtbummel in Lüneburg erwischte.
Die jungen Beamten vor Ort schilderten den Fund gestikulierend und detailliert: Männlich, Mitte 40, bäuchlings im Wasser treibend. Stirn, Hände, Knie und Fußspitzen schürften über dem Uferboden. Der Hintern ragte wie bei einer tauchenden Ente empor. »Nicht ungewöhnlich«, konstatierte einer der Beamten – er wollte etwas Kluges sagen –, »typisch für eine in stillem Gewässer treibende Leiche.«
Nun also lag Klaus Schöller in mit moosig verfärbtem, von Nike entworfenem Laufdress wie ein ausgespuckter halbverdauter Fischklops vor Pohlmanns spitzen Cowboystiefeln und es fehlte nicht viel, und Pohlmann hätte den Inhalt seines mit Köstlichkeiten a lá Cuisine du Monde gefüllten Magens auf den toten Körper des Mannes ergossen, von dem jeder wusste, dass er ihn partout nicht ausstehen konnte. Aus dieser auf Gegenseitigkeit beruhenden Antipathie einen Zusammenhang zu Schöllers Tod abzuleiten, war natürlich absurd, es erschwerte nur ein wenig die unbefangenen Ermittlungen.
Doch dies war gottlob nicht mehr sein Problem. Man würde ihn wohl kaum als Ermittler in dieser Sache zu Rate ziehen, zumal eben dieser nun im Gras liegende Schöller ihn Monate zuvor, auf drängende Bitte Pohlmanns, nach Lüneburg versetzt hatte. Genauer gesagt, nach Salzhausen, wo das Wort ›Leiche‹ kein Bestandteil des Wortschatzes der dort arbeitenden Beamten war. Eine nach all dem Erlebten weitere ersprießliche Zusammenarbeit erschien damals beiden als unmöglich. Umso mehr wunderte ihn, warum er überhaupt von Hartleib angerufen worden war. Seitdem ihm ein geisteskranker Serienmörder mit Genuss sämtliche Fingerknochen der rechten Hand in hundert kleine Teilchen zerborsten und die Schulter zerschossen hatte und er jede Nacht von feuchten Zellenwänden sowie von mittelalterlichen Folterinstrumenten jeglicher Couleur träumte, hatte er mit Hamburg nichts mehr am Hut. Ein ruhiger Posten auf dem Land sollte für ruhigen Schlaf sorgen, an der Seite seiner bezaubernden Verlobten, die seit 167 Tagen ein Kind von ihm unter ihrem halb französisch, halb deutschen Herzen trug. Trotz aller Widersprüche und Einwände, die sein Gehirn pausenlos funkte, ahnte Martin Pohlmann tief in seinem kugeligen Bauch, dass ihm erneut eine unangenehme Zeit bevorstehen würde, der er nicht entfliehen könnte.
Eine schmierig rötliche Nacktschnecke kroch gemächlich auf der Wiese, bäumte den Rücken auf, schob sich weiter und bahnte sich ihren Weg über Klaus Schöllers tote Finger mit
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