Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
sich. Sieben Zielpersonen, die an den entscheidenden Hebeln saßen.
Sie ging zum Stuhl, der vor dem nussbaumfarbigen, mit reichlich Schnörkeln versehenen Sekretär stand. Eine Hose und ein vom Vorabend verschwitztes Hemd waren unordentlich darübergelegt. Unordnung dort, wo Ordnung überflüssig war. Annette wühlte mit der linken Hand in den Taschen der Hose, zog die Visitenkarte einer ausländischen Investmentfirma hervor, legte sie auf den Tisch, fotografierte sie beidseits und steckte sie sorgfältig wieder zurück. In der anderen Tasche fand sie eine angebrochene Packung Schmerztabletten. Nur noch vier waren übrig. Ibuprofen400. Eine zu niedrige Dosis für ein Foto und zu alltäglich für einen verwertbaren Verdacht. Dieselben Tabletten nahm sie, wenn sie ihre Periode hatte.
Flink stöberte sie weiter, roch an dem Hemd, nahm das süßliche Rasierwasser am Kragen wahr, mit einem Auge und Ohr die Tür im Visier, alle anderen Sinne auf Verdächtiges gelenkt. Sie säuberte das Zimmer routiniert wie an jedem anderen Tag. Doch heute war eben nicht jeder andere Tag.
Bevor sie hinausging, schaute sie sich noch einmal gründlich um. Lagen alle persönlichen Dinge genauso da, wie sie sie vorgefunden hatte? Sie nickte. Sie schien zufrieden, atmete tief durch und ging zum nächsten Zimmer. Allmählich wurde sie selbstsicherer. Ein trügerisches Gefühl der Gefahrlosigkeit schlich sich ein.
Ein Gefühl, das unvorsichtig machen konnte.
Im nächsten Zimmer begann sie wieder im Bad. Sie sah auf ihrer Liste nach. Das Zimmer des ehemaligen amerikanischen Außenministers. Sie erinnerte sich, wie sie gestern an ihm schweigend, er mit einem Augenaufschlag nett grinsend, vorbeischlich. Circa 78 Jahre alt, kugelbauchig, wenige dünne Strähnen seitlich über den Kopf gelegt, freundliches Grinsen, aber verschlagener, geiler Blick. Dunkle Augen, durch die man nicht bis zur Seele vordringen konnte.
Einer der gefährlichsten Männer der Konferenz, wie ihr Dutroit eingebläut hatte. Ein Mann, der der Beteiligung an Verbrechen, die durch die faschistische Pinochet-Diktatur in Chile begangen wurden, beschuldigt wurde. Die Tötung von spanischen und französischen Staatsbürgern sollte angeblich auf sein Konto gehen, versicherte ihr Dutroit. Mit Hass in den Augen und einer Restangst in ihrem Herzen führte sie ihr erster Weg wieder ins Bad. Bewaffnet mit der Kamera und einem Wischlappen zur Tarnung, wühlte sie in den persönlichen Dingen des Amerikaners herum. Fast hätte sie laut aufgelacht, als sie die Packung Viagra in der Medikamententasche fand. Sie verkniff sich jede emotionale Regung und fuhr fort, Beweismaterial für eine Beteiligung an einer subversiven, verschwörerischen Organisation zu suchen. Die Packung Viagra fotografierte sie trotzdem. Des Weiteren fand sie Medikamente zur Blutdruckregulierung, wie es für einen Mann seines Alters nicht ungewöhnlich war. Der Rest im Bad: Fehlanzeige.
Die Suite des Politikers war größer als die übrigen Zimmer. Dieser Mann gab sich nicht mit 20 Quadratmetern zufrieden. Er war es gewohnt, auf großem Fuß zu leben, und bekam daher die Senior Suite mit Whirlpool und Sauna im Bad.
Der übrige Bereich war in einen Wohn-und Schlafbereich unterteilt.
In diesen Zimmern war es ungewöhnlich aufgeräumt und so sauber, als wäre schon jemand vor ihr dort gewesen. Sie blickte sich um und wusste, dass niemand vor ihr dort aufgeräumt hatte – der Mann, der hier logierte, war nur besonders wachsam und besonnen. Derjenige, der vor Jahrzehnten als Mitbegründer der Bilderberger galt, würde nirgendwo auf der Welt in einem für Zimmermädchen zugänglichen Raum etwas liegenlassen, was ihn in Gefahr bringen könnte. Eigentlich hätte man sich in dieser Suite die Suche sparen können, doch auch die Vorsichtigsten machten hier und da einen Fehler und wurden schusselig, insbesondere, wenn sie am Vorabend zu tief ins Glas geschaut hatten. So zumindest hoffte es Annette vorzufinden.
Sie machte das Bett, faltete den Pyjama, roch an ihm, wandte sich von den Ausdünstungen eines alten Mannes ab und legte das Schlafzeug ordentlich unter das Kopfkissen. Dann drapierte sie mit flinker Hand die Überdecke über die wuchtige Daunendecke und achtete darauf, keine Falten zu hinterlassen. Obwohl niemand im Raum war, schaute sie sich zu allen Seiten hin um. Dieser Job war kein normaler Job – wann putzte sie schon mal in Zimmern von Präsidentenberatern, Außen-und Verteidigungsministern, Konzernbossen,
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