Schattenmenagerie
Hamburg ums Leben gekommen war. Als Profi hinterließ er natürlich
keine verwertbaren Spuren. So mussten sich die Nachforschungen auf den Raum Eutin
beschränken, der Wirkungsstätte des Toten.
Kroll kletterte unsportlich aus
seinem etwas engen Kleinwagen und kramte zwei Zettel aus der Tasche seines zerknitterten
und etwas angeschmutzten Mantels. Zu Micha sagte er:
»Lauf du schon mal vor zur Torbrücke.
Ich komme gleich nach.«
Sein Assistent
Hopfinger hatte ihm vor der Abfahrt in Lübeck eine Checkliste in die Hand gedrückt.
»Dieser eingebildete Dummkopf«,
brummte Kroll vor sich hin. »Denkt, er sei das Hirn unserer Abteilung. Glaubt, die
Fälle mit messerscharfer Logik und knallharten Theorien lösen zu können. Ich vertraue
lieber meiner Menschenkenntnis und meiner Intuition.«
Was ihn aber nicht abhielt, sorgfältig
den Spickzettel seines Assistenten zu studieren.
1. Wohnhaus Graf Stolberg in der Lübecker Straße aufsuchen; nach verwertbaren
Spuren durchsuchen.
2. Haussuchung im Büro des Grafen im Schloss.
3. Kontakt mit Kommissar Dorndorf von der Kripo Eutin aufnehmen.
4. Barbara von Bülow verhören. Wohnhaft auf Gut Uklei nördlich von
Eutin, nahe dem Ukleisee.
5. Herzog Friedrich Georg von Altenburg über Stolbergs Tod informieren.
Wohnhaft auf dem Gut Altenburg, nördlich von Eutin und westlich von Lensahn.
»Komisch, abgesehen von dem Kollegen nur Adelige!
– Mal sehen, was Frau Grell über die Geschichte Eutins zu berichten hat.« Der zweite
Zettel enthielt das Ergebnis der Recherchen seiner Sekretärin:
Im 9./10. Jahrhundert beherrschten die Slawen
die Gegend. Sie unterhielten eine Inselburg namens Utin auf der Fasaneninsel, gleich
gegenüber dem heutigen Schloss. Außer wenigen Holz- und Knochenresten und einigen
Tonscherben ist nichts davon übrig geblieben. Damals war die Insel größer, da der
Wasserspiegel des Eutiner Sees ein paar Jahrhunderte später durch Stauwehren anstieg.
Unter Wasser fand man die Überreste von Pfählen, die darauf hinweisen, dass es früher
eine Holzbrücke zum Festland gab. Manche Forscher vermuten einen unterirdischen
Verbindungsgang zwischen der Insel und dem Festland.
Im 18. Jahrhundert stand ein kleines
Gartenschlösschen auf der Insel, das jedoch 1770 abgebrochen wurde und als Steinbruch
für das St. Georgs-Hospital diente. Heute steht ein schmuckes Fachwerkbauernhaus
auf dem Gelände, das nur per Motorboot erreichbar ist. Übrigens das Einzige, das
– abgesehen von dem Ausflugsdampfer – den Großen Eutiner See befahren darf. Hier
wohnt der Pächter der Insel und alleinige Inhaber der Fischereirechte.
Im 13. Jahrhundert stand Utin an
einem entscheidenden Wendepunkt seiner Entwicklung. Der Bischof von Lübeck, der
dort im Domkapitel, einer Art politischer Enklave rings um die Domkirche, residierte,
musste aufgrund von Auseinandersetzungen mit dem Lübecker Rat die Stadt verlassen.
Er zog samt Gefolgschaft nach Utin, dem Zentrum seiner weltlichen Grundherrschaft.
Seine Domherren wohnten in den noch heute teilweise erhaltenen Kapitelhöfen nahe
der Eutiner Stadtkirche. Die Grafen zu Stolberg zählen dazu. Auch einige der Lübecker
Kapitelhäuser blieben bis in die jüngere Vergangenheit in ihrem Besitztum.
Der Bischof selbst residierte in
einem großen Steinhaus, an das er 1293 eine Schlosskapelle anbauen ließ. Damit war
der Grundstock für das spätere Eutiner Schloss gelegt. Der groß angelegte Ausbau
zur heutigen nahezu quadratischen Form geschah erst im 18. Jahrhundert.
Als Folge der Reformation kam es
im 16. Jahrhundert zu einer Interessengemeinschaft zwischen dem in Schleswig ansässigen
Adelsgeschlecht der Gottorfer und dem bischöflichen Domkapitel. Die Landesherren
nannten sich fortan Fürstbischöfe und erhielten das Privileg der Vererbbarkeit ihrer
Herrschaft.
Das Jahr 1773
brachte für Eutin, wie es jetzt hieß, eine grundlegende Veränderung. Im Rahmen des
Vertrags von Zarskoje Selo, eines internationalen Schacherhandels zwischen Russland
und Dänemark, wurde das Fürstbistum Lübeck mit den Grafschaften Oldenburg (in Oldenburg)
und Delmenhorst in Personalunion verbunden. Seitdem ist der Herzog von Altenburg
Hausherr des Eutiner Schlosses.
Eutin und sein Schloss erlebten
noch manch unruhige Zeiten, die Herrschaft der Herzöge von Altenburg vererbte sich
jedoch bis in die heutige Zeit. Allerdings fiel es ihnen immer schwerer, das langsam
verfallende Gebäude instand zu halten. Um die schwer angeschlagene Substanz
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