Schattennächte: Thriller (German Edition)
benachbarten Montecito Villen besaßen. Im Sommer kamen Horden von Touristen. Dazu war Santa Barbara eine Stadt der Künste, der Festivals und Konzerte, sodass einem nie langweilig wurde.
Lauren hatte sich in Santa Barbara sehr wohlgefühlt. Sie und Lance hatten fast zwanzig Jahre dort gewohnt – ihr gesamtes Eheleben. Lance war dort aufgewachsen. Ihre beiden Töchter waren dort auf die Welt gekommen. Die Lawsons hatten dort als feste Größen im gesellschaftlichen Leben Ehrenämter in den Schulen übernommen.
Dort war Leslie entführt worden.
Zwei Jahre später war Lance auf einer Passstraße nördlich von Santa Barbara ums Leben gekommen.
Lauren konnte nicht mal im Supermarkt einkaufen, ohne angestarrt zu werden, ohne dass getuschelt wurde. Sie hatte sich immer wieder in den Lokalnachrichten und in den Zeitungen zu Wort gemeldet, damit der Fall ihrer vermissten Tochter nicht in Vergessenheit geriet. Jeder Ladenbesitzer in der Stadt kannte sie, weil sie ständig mit einem neuen Anschlagzettel ankam.
VERMISST .
ENTFÜHRT .
WER HAT DIESES MÄDCHEN GESEHEN ?
Die Leute waren ihr aus dem Weg gegangen, zuerst weil sie nicht wussten, was sie sagen sollten, dann weil sie nicht wussten, wie sie sie wieder loswurden. Im Laufe der Jahre waren sie ihrer überdrüssig geworden, wollten nichts mehr von dem Fall hören. Sie ertrugen das damit verbundene Mitleid oder die Schuldgefühle nicht mehr. Die Ratschläge, um die sie nie gebeten hatte, hatten sich von »lass dich nicht unterkriegen« zu »Zeit, wieder nach vorn zu schauen« gewandelt.
Selbst ihre besten Freunde hatten ihr dazu geraten. »Es ist schon so lange her, Lauren. Leslie kommt nicht zurück. Du musst loslassen.«
Die hatten gut reden, denn Leslie war nicht ihre Tochter.
Sissy und Bump hatten mehr Mitgefühl bewiesen. Sie hatten ihr das Haus in Oak Knoll angeboten und sie ermutigt, Santa Barbara für eine Weile zu verlassen. Aber vielleicht hatten auch die beiden sie nur loswerden wollen. Aus den Augen, aus dem Sinn.
Welches Motiv sie auch gehabt haben mochten, Lauren war ihnen dankbar.
Das Haus stand am Ende einer Sackgasse, die wie ein Finger aus der Stadt ragte und zu den roten Hügeln im Westen wies. Eine ruhige, bunt gemischte Gegend. Die meisten Häuser in der Nachbarschaft waren schon älter und standen versteckt hinter wuchernden Bougainvilleen und Oleanderbüschen. Die Bewohner kümmerten sich um ihren eigenen Kram. Einer der Gründe, warum die Leute hier wohnten, war, dass keiner seine Nase in fremde Angelegenheiten steckte.
In dem Bungalow zwei Häuser links von ihnen lebte ein Bildhauer. Gegenüber züchtete ein älteres Hippie-Paar Gemüse im Garten, in dem auf einer Leine gebatikte T-Shirts hingen. Laurens unmittelbarer Nachbar war ein pensionierter Lehrer vom McAster College und hörte gerne bei weit geöffneten Fenstern Kammermusik, die in der kühlen Abendbrise über die Straße wehte.
Das letzte Haus war das der Bristols, ein Ort der Stille und Ruhe. Hinter dem Haus fiel eine Wiese zu einem von Bäumen gesäumten Flussbett ab, und dahinter sah man den zerklüfteten Höhenzug, hinter dem die Weinberge von Santa Barbara und die Küste lagen. Manchmal kamen Lauren die Berge wie ein Wall vor, der die Erinnerungen an die letzten paar Jahre von ihr fernhielt.
Zumindest wünschte sie sich das.
Da sie nicht mehr denken mochte, verließ sie ihr Arbeitszimmer im ersten Stock und ging in ihr Badezimmer, um zu duschen.
Bump und Sissy hatten bei der Renovierung des Hauses nicht gespart. Im Grunde war von dem ursprünglichen Gebäude kaum etwas übrig geblieben, so viele Umbauten waren durchgeführt worden.
Lance hatte die langweilige weiße Schuhschachtel in die exzentrische kalifornische Version eines Hauses, wie man es überall in Neuengland sah, verwandelt. Dank der Anbauten und Erweiterungen hatte man den Eindruck, es wäre im Laufe der Zeit so gewachsen. Während der Ferien und an Feiertagen schliefen in den vier Schlafzimmern in der einen Hälfte des Hauses die erwachsenen Kinder und Enkel der Bristols. Im Esszimmer stand ein riesiger alter Tisch, an dem ein Dutzend Leute Platz hatten.
Ein Zimmer folgte aufs nächste, und jedes quoll fast über von den Schätzen, die Sissy und Lauren auf Flohmärkten und in Trödelläden aufgestöbert hatten. Die alten, dunkel gebeizten Bodendielen hatten sie von der Ostküste kommen lassen. Die alten Kamine im Wohnzimmer und im Salon waren aus Natursteinen, die womöglich aus dem Fluss hinter dem
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