Schattennaechte
sagte Anne auf dem Weg in die große helle Küche. »Lauren Lawton.«
»Sie hat dich angerufen?«, fragte Mendez überrascht. »Ich habe ihr deine Telefonnummer gegeben, aber ich hätte nicht gedacht, dass sie sich bei dir meldet.«
»Hat sie auch nicht. Ich habe sie durch Wendy kennengelernt. Wendy hat sich mit Laurens Tochter angefreundet. Sie reiten zusammen.«
»Was hältst du von ihr?«
»Von Lauren? Na ja, ich denke, das Leben ist nicht gerade freundlich mit ihr umgesprungen«, sagte Anne diplomatisch.
»Das stimmt. Hat sie vor, deine Hilfe in Anspruch zu nehmen?«
»In nächster Zeit wohl nicht. Sie hängt am Rand eines Abgrunds und braucht momentan all ihre Kraft, um sich festzuhalten«, sagte Anne. »Aber ich habe mit ihr gesprochen. Sie weiß, dass ich für sie da bin, wenn sie so weit ist. Mehr kann ich im Augenblick nicht für sie tun.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, wie sie jemals darüber hinwegkommen soll, solange der Fall nicht in irgendeiner Weise abgeschlossen ist«, sagte Mendez. »Bis dahin wird sich an diesem Zustand nichts ändern.«
Anne nickte sorgenvoll. »Ich habe damals die Berichte im Fernsehen gesehen, als ihre Tochter verschwand. Das ist, glaube ich, das Schlimmste, was einer Mutter passieren kann. Und dann hat sie auch noch ihren Mann verloren. Es ist wirklich schrecklich. Ich komme mir vor, als würde ich jemandem beim Ertrinken zusehen und nichts für ihn tun können.«
Sie schüttelte den Kopf und öffnete den Kühlschrank. »Wein oder Bier?«
»Ich sollte lieber nicht …«, setzte er an.
Sie sah ihn an, und um ihre Mundwinkel spielte ein winziges Lächeln. »Ich weiß, dass du nicht im Dienst bist.«
Mendez schnitt eine Grimasse. »Na gut, dann ein Dos Equis. Danke.«
»Hallo, Hitzkopf. Was treibst du da mit meiner Frau in der Küche?«
Vince Leone hatte seine Karriere beim Police Department Chicago begonnen, und auch wenn er schon lange nicht mehr dort lebte, war sein Akzent immer noch zu hören.
Er betrat die Küche und machte sofort seinen Besitzanspruch auf Anne geltend, indem er die Arme um sie legte und ihr einen Kuss auf die Stirn gab, wofür er ein strahlendes Lächeln erntete. Er war knapp eins neunzig groß, wirkte kräftig und durchtrainiert und trug zu einer Mähne grau melierter Haare einen Schnurrbart, der von der runden kleinen Narbe auf seiner Wange ablenken sollte. Sie stammte von der Eintrittswunde einer Kugel Kaliber .22, die noch immer in seinem Kopf steckte. Davon abgesehen war er zufrieden und glücklich und um einiges fitter und energiegeladener als vor fünf Jahren, als er nach Oak Knoll gekommen war. Das Familienleben tat ihm gut.
»Hast du mit Cal gesprochen?«, fragte Mendez mit einem schiefen Grinsen.
»Ich habe ihn heute Morgen im Fitnesscenter getroffen. Er hat mir erzählt, dass dieser Ballencoa mit einer Anzeige gedroht hat«, sagte Vince. »Du solltest dich besser benehmen, Junior.«
»Und in der Zwischenzeit kann Ballencoa ungestört Lauren Lawton terrorisieren. Ich kann ihn nicht mal im Auge behalten, weil ich Angst haben muss, dass er dann sofort losplärrt, ich würde ihn schikanieren«, beklagte sich Mendez. »Heute habe ich herausgefunden, dass sie ihm in Santa Barbara fünfzigtausend Dollar dafür gegeben haben, dass er die Klappe hält und verschwindet. Er ist rauf nach San Luis Obispo und hat dort die gleiche Nummer abgezogen und mit einer Klage gedroht. Und jetzt haben wir ihn an der Backe.«
»Stell dir bloß mal vor, was für ein Albtraum das für Lauren ist«, sagte Anne und gab ihm sein Bier.
»Das brauche ich mir nicht vorzustellen. Ich habe hautnah miterlebt, was es bei ihr angerichtet hat«, sagte er. »Sie klammert sich mit abgebrochenen Fingernägeln am Rand des Abgrunds fest. Wenn wir es nicht schaffen, ihn aufzuhalten und dem Ganzen ein Ende zu machen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis eine Katastrophe passiert.«
»Onkel Tony! Guck mal, meine Giraffe!«, rief Haley und kam mit einem Stofftier angelaufen, das halb so groß war wie sie. Antony trottete mit seinem Gorilla hinter ihr her.
Mendez ging in die Hocke, um sich die Giraffe genauer anzusehen. »Die ist sehr schön, mein Schatz.«
»Meines auch!«, sagte Antony.
»Deines auch.«
»Aber ich bin kein Schatz«, erklärte Antony.
»Doch, das bist du, Vincent Antony Leone«, sagte Anne, beugte sich vor und zog ihren Sohn an sich, um ihm einen Kuss zu geben.
»Nein, bin ich nicht! Ich bin ein Golilla!«
Haley kletterte auf einen der hohen Hocker
Weitere Kostenlose Bücher