Schattennetz
für mich eine Einzelzelle angeordnet sei. Meine Bitte, dass ich einen Anwalt sprechen möchte, wurde mit schallendem Gelächter abgetan. Du wirst erst mal Zeit zum Nachdenken kriegen, hat eine Frau gesagt und gleich mit Dunkelhaft gedroht, falls ich mich noch länger widersetzen wolle. Dabei hab ich doch gar nichts getan.«
Linkohr nickte wieder und versuchte, sich in die damalige Lage dieser Frau einzudenken. »Und dann hat man sie einfach eingesperrt?«
»Ich will Sie jetzt nicht mit Details langweilen. Es ist unbeschreiblich, was in Ihnen in solchen Momenten vorgeht. Ich war nicht mal fähig zu schreien. Sie haben mich derart eingeschüchtert.« Liliane schloss die Augen. »Wieder ausziehen – vor all den Aufsehern. Die haben sich einen Spaß draus gemacht, ein junges Mädchen herumzukommandieren. Schließlich war ich froh, ja ich war froh, endlich allein eingesperrt zu sein.«
Linkohr überlegte, ob sie diese hübsche Frau auch vergewaltigt hatten. Aber diese Frage verkniff er sich. Das tat jetzt nichts zur Sache. »Gab es irgendwann auch so etwas wie eine Gerichtsverhandlung?«
»So etwas Ähnliches, ja. Es war natürlich reine Schau. Drei Jahre haben sie mir gegeben. Drei Jahre. Ich war fix und fertig. Man hat mir zwar einen Anwalt zur Seite gestellt, aber das war wirklich nur Schau, sonst nichts.«
»Sie wissen heute, wo Sie eingesperrt waren?«, fragte Linkohr ebenso ruhig, wie dies Häberle in einer solchen Situation tun würde.
»Jetzt schon. Das war das berüchtigte Untersuchungsgefängnis der Staatssicherheit in Hohenschönhausen. Nach dem Urteil haben sie mich dann nach Bautzen gefahren – in einem richtigen Viehtransporter, kann ich Ihnen sagen. Bautzen II, wo die Staatsfeinde saßen. Ich wär wahrscheinlich da drin gestorben, wenn ich drei Jahre hätte bleiben müssen.« Sie kämpfte für einen Augenblick mit den Tränen. »Wir haben natürlich mitgekriegt, was sich politisch tat in diesen Herbstmonaten. In der Nacht des 9. Novembers. Wir wussten aber nicht, was dies bedeuten würde. Krieg?« Die junge Frau zuckte mit den Schultern. »Dann hätten sie uns wahrscheinlich gleich an die Wand gestellt.«
»Und wann hat man sie freigelassen?«
»Erst fünf Wochen später. Das müssen Sie sich mal vorstellen. Da hat sich das Regime aufgelöst und uns hat man noch immer gefangen gehalten. Inzwischen weiß ich, dass sich viele Politiker für uns eingesetzt haben. Erst am 15. Dezember hat man uns abgeholt und nach Ostberlin gebracht. Aber noch immer wussten wir nicht, was uns erwarten würde.«
Der Jungkriminalist war von den Schilderungen betroffen. Nie zuvor hatte er mit jemandem gesprochen, der aus eigener Anschauung die damaligen Zustände schildern konnte. Gerne hätte er sich mit dieser tapferen Frau noch länger unterhalten. Er überlegte, ob er sie einfach zu einem Kaffeeplausch einladen sollte. Nein, entschied er sofort. Solange die Ermittlungen liefen, war dies nicht angeraten.
»So gern ich mich noch länger mit Ihnen unterhalten möchte …« Er deutete ein schwaches Lächeln an. »Aber vielleicht können wir das mal nachholen. Jetzt muss ich aber auf unseren Fall zurückkommen.« Der Kripobeamte räusperte sich. »Sie sind trotz allem später wieder in die DDR zurückgekehrt?«
Liliane lehnte sich auf dem unbequemen Holzstuhl zurück und rückte ihre Beine provokativ, wie Linkohr erschien, in das Blickfeld des Mannes. »Nicht in die DDR«, betonte sie. »Sondern in das, was noch übrig war. Ich hab die Freunde des Stuttgarter Bekannten ein Jahr später besucht, zum ersten Tag der Deutschen Einheit. Die waren inzwischen in die Gegend von Bischofswerda gezogen. Daraus hat sich eine richtige Freundschaft entwickelt.« Sie brach verlegen ab.
»Und da haben Sie Ihren Ehemann kennengelernt?«
»Ja. Torsten hat sich sehr um mich bemüht, wie man so schön sagt. Er war voller Tatendrang, wollte etwas aufbauen und hat von dem Bürgermeister von Bischofswerda den Tipp auf die Partnerstadt Geislingen gekriegt. Er hats dann als Wink des Schicksals gesehen, dass ich auch aus der Gegend kam.« Sie lächelte wieder. »Ich hab damals draußen in Bad Ditzenbach gewohnt. Ja – so sind wir dann hierher gekommen.«
»Was uns besonders interessieren würde, ist die Vergangenheit Ihres Mannes. Denn vieles deutet darauf hin, dass es etwas geben muss, das ihn und Herrn Alexander Simbach verbindet – oder besser entzweit hat.« Linkohr war gespannt, was sie dazu sagen würde.
»Um ehrlich zu sein,
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