Schattennetz
Torsten spricht so gut wie nie über seine Zeit vor der Wende. Ich hab das auch lange Zeit verstanden und akzeptiert, denn wir aus dem Westen können uns ohnehin nur schwer in diese damaligen Verhältnisse hineindenken.«
»Sie haben nie konkret danach gefragt?«
»Nicht wirklich, nein. Und wenn ich den Versuch unternommen hab, hat er nur ausweichend geantwortet.«
»Trotzdem noch mal die Frage, was zu dem Streit zwischen Ihrem Mann und Alexander Simbach geführt haben könnte.«
Sie zuckte heftig mit den Schultern. »Ich weiß es wirklich nicht.« Ihr Blick verriet, dass es da noch etwas geben musste. Sie schien innerlich mit sich zu kämpfen, ob sie es sagen sollte.
»Und sonst?«, machte Linkohr weiter. »Gibt es etwas, das wir wissen sollten, um die ganze Situation zu verstehen?«
Sie nickte zögernd.
36
Häberle war nach dem Gespräch mit Torsten Korfus sofort zur Dienststelle zurückgefahren. Die Kollegen der Sonderkommission, die inzwischen den Lehrsaal in ein einziges Chaos aus Aktenordnern, Papierbergen und kreuz und quer auf den Schreibtischen stehenden Computern verwandelt hatten, drehten sich um. Sie erhofften sich Neuigkeiten. »Ich hab den Faller am Wickel«, sagte er unkonventionell. »Er hat Angst, abgehört zu werden. Deshalb wird er gleich hier auftauchen.«
»Na, super«, kommentierte Fludium aus den Reihen der Kollegen.
»Wir haben inzwischen auch was erfahren«, machte sich einer zum Sprecher und blätterte in einem Notizblock. »Die Jungs vom Schusswaffenerkennungsdienst haben schon reagiert. Den Projektilen und den Hülsen zufolge handelt es sich bei der Waffe von heut Nacht um eine Pistole vom Typ Tokarev TT 33, Kaliber 7,62 Millimeter. Standardwaffe der Roten Armee und vieler Verbündeter.« Er blätterte um. »Wird auf dem schwarzen Markt eingeführt und ist im ehemaligen Ostblock oder auf dem Balkan relativ leicht zu beschaffen.« Dann fügte er noch hinzu: »Das Magazin umfasst acht Schuss. Vier hat er bei uns abgefeuert.«
»Ostblock«, griff Häberle das Gehörte auf. »Was anderes hätt mich auch gewundert. Wahrscheinlich schleppen manche da drüben noch so ein Ding mit sich rum.«
Eine andere Stimme meldete sich aus dem Hintergrund: »Hat nicht die Frau Simbach gesagt, ihr Mann habe Kontakte zu Deutschrussen?«
»Ja«, stellte Fludium fest, der an einen Fenstersims gelehnt stand. »Aber wir haben noch keinen einzigen Über- oder Aussiedler gefunden, der dies bestätigen könnte. Ich glaub nicht, dass es solche Kontakte hier in der Stadt gegeben hat. Allenfalls vielleicht in Stuttgart.«
»Bleibt dran«, bat Häberle. »Und versucht den Schwenger davon zu überzeugen, dass wir auch Fal-lers Telefondaten kriegen. Auch sein Handy.« Gemeint war der Amtsrichter, der die entsprechenden Verfügungen ausstellen musste.
Dann verschwand Häberle in sein Büro, ließ aber die Tür einen Spalt weit offen, wie er dies immer tat, um ständig für seine Mitarbeiter erreichbar zu sein. Er sah auf die Uhr und vermutete, dass Faller bald auftauchen würde. Zuvor wollte er noch Maggy anrufen, um ihr seine Absicht schmackhaft zu machen, am morgigen Freitag eine Dienstreise in den Osten zu unternehmen. Er hatte seinen Navigator bereits ausrechnen lassen, wie weit es bis Bischofswerda war und wie lange er unterwegs sein würde: sieben Stunden für 513 Kilometer. Vorausgesetzt, es gab nicht allzu viele Baustellen.
Vorbei die Zeiten, als solches Ansinnen bei dem inzwischen pensionierten Kripochef Helmut Bruhn äußerst vorsichtig und diplomatisch angegangen werden musste. Manuela Maller hörte sich Häberles Plan an und erwiderte sofort: »Wenn Sie das für geboten halten, dann fahren Sie.« Der Chefermittler hielt es für geboten. Denn die Zusammenarbeit übers sächsische Landeskriminalamt und den Kollegen in der Oberlausitz war bisher nicht gerade vielversprechend gewesen. Häberle schien es so, als sei man sich dort der Brisanz des Falles gar nicht bewusst. Auch der Hinweis auf die mögliche Stasivergangenheit einiger der Beteiligten schien nicht sonderlich gefruchtet zu haben. Wahrscheinlich, so dachte Häberle insgeheim, gab es bei den Kollegen dort häufiger Anfragen dieser Art.
Er bedankte sich für die Genehmigung der Dienstreise, worauf er sofort seine Frau Susanne anrief, damit sie ihm das Nötigste zusammenpacken konnte, denn heute Abend würde es sicher spät werden. Als er wieder auflegte, stand Faller vor ihm. Häberle bot ihm einen Platz am Besuchertisch an, drückte die Tür
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