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Schattennetz

Schattennetz

Titel: Schattennetz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Bomm
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Stumper zur Sache. »Nicht nur gegen Türken, sondern ganz speziell gegen Russen, um genauer zu sein: gegen Deutschrussen, gegen die Über- oder Aussiedler.«
    »Was heißt das: ziemlich rechtsradikal?«, hakte Häberle nach. »Wie muss man sich das vorstellen?«
    »Na ja, dass denen alles zuzutrauen sei. Mafiosi. Und dass sie davon überzeugt sei, dass auch ihr Vater von solchen Banden umgebracht worden ist.«
    Die Dekanin schaltete sich ein: »Hat sie denn gesagt, was sie zu dieser Annahme veranlasst?«
    »Anscheinend nicht. Aber es muss heftig gewesen sein, was sie nach dem Unterricht heut von sich gegeben hat.«
    »Man darf sicher jetzt nicht alles auf die Goldwaage legen, was das Mädchen in dieser Situation sagt«, stellte die Theologin fest, obwohl sie ansonsten hellwach war, wenn auch nur der Anschein von Rechtsradikalismus im Raum stand.
    Der Kommissar lehnte sich zurück. »Wir werden der jungen Dame mal auf den Zahn fühlen. Kann nichts schaden, wenn sie merkt, dass wir uns auch für so etwas interessieren.«
    »Dann sollten Sie noch etwas wissen. Kerstin hat noch etwas anderes berichtet – von Silke. Die scheint einen ziemlichen Hass auf die Menschen, die aus dem Gebiet der ehemaligen DDR stammen, zu haben.« Er hielt inne, während Häberle nickte und erklärte: »Kann ich mir vorstellen. Die Silke hat ziemlich Prügel bezogen. Ihre Mutter auch.«
    Stumper sah sich jetzt zu weiteren Schilderungen ermuntert. »Korfus, so soll Silke gesagt haben, sei drüben ein ganz übler Typ gewesen. Ich weiß ja nicht, ob ich es wiederholen darf?« Er blickte die Dekanin Hilfe suchend an, doch diese verzog keine Miene.
    Häberle sprang in die Bresche: »Sie dürfen hier alles sagen. Alles, was Sie gehört haben.«
    »Es kann natürlich Geschwätz von Jugendlichen sein, die sich wichtig machen wollen. Pubertäres Geschwätz«, wiegelte Stumper ab, als sei es ihm unangenehm, das Gehörte zu wiederholen. »Aber Silke soll gesagt haben, Korfus sei der letzte Henker der DDR gewesen.«
    Jetzt war es raus. Die drei Personen schwiegen betroffen. Häberle sah für ein paar Sekunden in das irritierte Gesicht der Dekanin. Stumper stand derweil wie ein Schulbub da und war völlig verunsichert.
    »Henker?«, echote Dekanin Grüner. Der Kommissar versuchte, sich krampfhaft an die Justiz der DDR zu entsinnen. Es hatte dort tatsächlich noch lange die Todesstrafe gegeben. Wenn er sich richtig entsann, war sieben, acht Jahre vor der Wende die letzte Hinrichtung vollstreckt worden. Vorausgesetzt natürlich, die Aufzeichnungen dazu waren korrekt. Mit einem unerwarteten Nahschuss, so hatte Häberle es mal gelesen, waren die Delinquenten hingerichtet worden. Schlagartig erinnerte sich der Kommissar an die paar Textzeilen, die sich in sein Gedächtnis eingebrannt hatten: Der Staatsanwalt habe dem völlig ahnungslosen Delinquenten in zwei Sätzen eröffnet, dass das Gnadengesuch abgelehnt sei und die Hinrichtung unmittelbar bevorstehe. Daraufhin sei der Henker unbemerkt von hinten an den Todeskandidaten herangetreten und habe ihm mit einer Armeepistole in den Hinterkopf geschossen. Für einen Augenblick war Häberle von dieser entsetzlichen Vorstellung gefangen. Wenn sich das so zugetragen hatte, woran er gar keinen Zweifel hatte, dann lag dies gerade mal 20 oder 25 Jahre zurück. Noch immer hing fassungsloses Schweigen im Raum. »Sie meinen«, durchbrach Häberle schließlich die Stille. »Sie meinen, Korfus war ein Henker?«
    Stumper blickte verängstigt von einem zum anderen. »Ich meine gar nichts«, gab er sich zurückhaltend. »Ich hab nur zitiert.«
    Die Dekanin schien erst jetzt das ganze Ausmaß dieser Vermutung erfasst zu haben. Ihr Gesicht war fahl geworden. Sie saß zusammengesunken auf ihrem Bürosessel und schien sich auszumalen, was es bedeutete, den Vollstrecker von Todesurteilen in den eigenen Reihen zu haben. Dann wiederholte sie tonlos, was sie erst vor wenigen Minuten gesagt hatte: »Er hat die Aufgabe ohne Emotionen ausgeführt.«
    Stumper verstand den Sinn nicht, aber Häberle nickte langsam.
     
    Häberle war wieder zu Fuß zum Polizeigebäude zurückgekehrt und kämpfte gegen die Vorstellung an, wie Korfus mit entsicherter Waffe hinter der Tür vortrat, um dem Todeskandidaten kaltblütig von hinten in den Kopf zu schießen. Wie viel Menschenverachtung gehörte zu so einem Job? Mit einer Armeepistole, das hatte er irgendwo einmal gelesen, waren die Todesurteile vollstreckt worden. Mit einer Tokarev? Womöglich, ja,

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