Schattennetz
eigentlich hundemüde und wollte sich angesichts der langen Autofahrt, die ihm morgen bevorstand, am liebsten zeitig ins Bett legen. Doch er hätte vermutlich kaum schlafen können. Was Stumper berichtet hatte, wäre ihm stundenlang durch den Kopf gegangen. Der Chefermittler bat die Kollegen der Sonderkommission, sich am nächsten Morgen auf die von Vodafone angekündigten Handyverbindungen von Fallers Telefon zu konzentrieren, und ihm sofort die Ergebnisse mitzuteilen. Dann entschied er sich, Silke Simbach mit den Erzählungen Stumpers zu konfrontieren. Er rief in der Getränkehandlung an und erfuhr von der Mutter, dass Silke soeben mit Sergije in die örtliche Kaiser-Brauerei gefahren sei, um 10 Kisten Weizenbier zu holen. Häberle beendete das Gespräch, noch ehe Sabrina Simbach eine Frage stellen konnte. Er griff nach seiner Jacke, warf sie über und verließ den Lehrsaal. Die Kaiser-Brauerei war zwar nur ein paar 100 Meter vom Polizeirevier entfernt, doch Häberle entschied sich trotzdem fürs Auto, zumal er anschließend sofort heimfahren wollte. Die Sonne warf bereits lange Schatten, als er den Audi aus dem Polizei-Areal hinaussteuerte und sich in die vorbeiführende B 10 einfädelte. Nach wenigen Metern bereits stand er im Stau der Ampel vom Wilhelmsplatz. Schon verfluchte er die Idee, mit dem Auto gefahren zu sein. Vermutlich wäre er zu Fuß schneller am Ziel gewesen – und jetzt konnte es sogar passieren, dass er die beiden verfehlte. Es war ihm nämlich günstig erschienen, sie außerhalb des mütterlichen Geschäfts gemeinsam befragen zu können. Es ging aber schneller voran als gedacht. Er bog an der Ampel rechts ab und sogleich wieder links in die Bismarckstraße, wo schon von Weitem ein Transparent mit dem schwäbischen Werbeslogan: ›A gscheits Bier‹ zu sehen war, das die Fahrbahn überspannte. Es kaschierte die Rohrleitungen, die in luftiger Höhe die Brauereigebäude beidseits der Straße miteinander verbanden.
Häberle parkte den Audi im Halteverbot entlang der großen Lagerhalle, in der sich auch die automatische Abfüllanlage befand. Vor Jahren war er mal hier gewesen, als er ein Partyfässchen Bier abgeholt hatte. Deshalb fiel ihm die Orientierung leicht. Er stieg die paar Stufen an der Laderampe hoch und gelangte in die große Lagerhalle, in der sich die grünen Bierkisten türmten. In der kühlen Luft hing der Geruch nach Bier und Feuchte. In einem kleinen Büro, dessen Tür offen stand, entdeckte der Chefermittler die gesuchten Personen. Silke beugte sich gerade über den Schreibtisch, um einen Lieferschein zu unterschreiben, während sich Sergije mit einem Brauereimitarbeiter unterhielt. Dessen Aufmerksamkeit richtete sich dann aber auf den Kommissar. »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte er. Häberle deutete auf Silke und Sergije: »Entschuldigen Sie, wenn ich so reinplatze. Ich such eigentlich diese beiden Herrschaften.«
Sergije, der mit verschränkten Armen am Schreibtisch stehen geblieben war, erwiderte das Lächeln nicht. Auch Silke, die sich aufrichtete, schien über das unerwartete Treffen wenig erfreut zu sein. »Sie verfolgen uns …?«, fragte sie irritiert, während der ziemlich dickbauchige Brauerei-Mitarbeiter insgeheim rätselte, was hier vorging.
»Ich würde mich gern kurz mit Ihnen unterhalten. Vielleicht können wir das draußen im Auto tun«, erklärte Häberle ruhig und wandte sich an den unbeteiligten Zuhörer, um ihn nicht länger im Unklaren zu lassen: »Ich bin Kripobeamter und hab nichts weiter als ein paar Routinefragen.«
Der Angesprochene sah kurz von einer Person zur anderen und schlug ohne zu zögern vor, dass sie ihr Gespräch auch in seinem Büro führen könnten. Er müsse ohnehin die Ware herrichten. Häberle nahm das Angebot dankend an und bat die beiden jungen Leute, auf den Holzstühlen Platz zu nehmen, die an die Wand gerückt waren. Dann zog er die Tür zu und setzte sich auf den Bürostuhl. Über das Papierchaos des Schreib-tisches hinweg erklärte er, dass er noch einige Details wissen müsse. Er sprach Sergije direkt an: »Darf ich fragen, wann Sie nach Geislingen gekommen sind?«
Der junge Mann hatte sich lässig auf den Stuhl gelümmelt und das rechte Bein mit der Wade auf den linken Oberschenkel gelegt. »Vor zwei Jahren. Genau genommen im April vor zwei Jahren«, erwiderte er knapp. Seine Gesichtsfarbe war im Licht der Leuchtstoffröhre sehr weiß.
»Und wie kam es dazu?«
»Soll das jetzt ein Verhör werden?«, gab er zurück und
Weitere Kostenlose Bücher