Schattennetz
Vorsicht geboten‹, stach ihm in die Augen – und der Halbsatz: ›auf den Fortgang Einfluss zu nehmen‹.
Dann erst begann er, die Mail ohne Anrede Wort für Wort zu lesen: ›Den Erkenntnissen zufolge ist mit intensiven polizeilichen Ermittlungen zu rechnen. Wichtig: Aussagen knapp formulieren und auf das Nötigste beschränken. Auf kein langes Gespräch einlassen. Grundsätzlich ist äußerste Vorsicht geboten. Außerdem wichtig: Angaben zur Vergangenheit wie in Protokoll 19 festgelegt. Nachlesen und einprägen! Gespräch üben. Überzeugendes Auftreten absolut wichtig. Es wird versucht, über unsere Infokette auf den Fortgang Einfluss zu nehmen. Bitte feindliche Kontaktaufnahme sofort melden‹. Simbach las den Text ein zweites Mal. Protokoll 19. Er würde es nachher aus den Aktenordnern holen, die in dem Wandschrank eingeschlossen waren. Sein Blick blieb am letzten Satz hängen. ›Feindliche Kontaktaufnahme‹. Er musste grinsen. Der Junge konnte es einfach nicht lassen, dachte er, während sein Blick auf die Digitaluhr fiel: 00:23. Sollte ers jetzt versuchen?
23
Faller war sehr erschrocken. Während er im Lichtkegel der Scheinwerfer angestrengt irgendeine Bewegung wahrzunehmen versuchte, hatte sich der elektronische Ton seines Handys schrill in das kaum hörbare Brummen des BMW-Motors und das sanfte Rauschen der Klimaanlage gebohrt. Die Beleuchtung des Displays blinkte und signalisierte einen ›Unbekannten Anrufer‹. Faller sah instinktiv nach allen Seiten, obwohl sich links und rechts von ihm nur die schwarzen Silhouetten der Sträucher vom helleren Himmel abhoben. Er meldete sich mit einem knappen: »Ja.«
»Jetzt passen Sie mal auf.« Die männliche Stimme im Lautsprecher erfüllte den Innenraum. »Sie fahren jetzt wieder zur Landstraße zurück und tun genau, was ich sage. Haben Sie verstanden?«
Faller saß wie gelähmt hinterm Steuer und starrte durch die Windschutzscheibe auf die angestrahlte hölzerne Umzäunung des Parkplatzes. »Natürlich verstehe ich Sie«, erwiderte er leise.
»Das ist eine reine Vorsichtsmaßnahme, falls Ihnen jemand gefolgt ist«, kam es schnell zurück. »Damit Sie jetzt gleich gar nicht auf die Idee kommen, jemanden anzurufen, legen Sie nicht auf. Haben Sie das verstanden?«
»Okay. Und nun?«
»Sie fahren wieder zur Landstraße zurück und dort links nach Türkheim«, befahl der Unbekannte. »Hinterm Ort gibts das Gewerbegebiet Schwäbische Alb – beim neuen Kreisverkehr. Sie fahren rein und sehen nach etwa 100 Metern links am Straßenrand einen gelben Eimer stehen. In den werfen Sie das Ding rein und verschwinden sofort in Richtung Geislingen. Bestätigen Sie!«
Faller hatte im Geiste die Anweisung nachvollzogen. Dieses Gewerbegebiet, das der Unbekannte meinte, war erst vor Kurzem außerhalb des Stadtbezirks Türkheim auf der Hochfläche erschlossen worden. Bisher hatte sich zum Leidwesen der Stadtverwaltung noch kein einziger Betrieb angesiedelt, sodass nur asphaltierte Straßen das Ausmaß der künftigen Gewerbefläche erahnen ließen. Und dort, wo einmal Lampen stehen sollten, ragten Elektrokabel aus dem Gehweg.
»Ich hab Sie verstanden«, bestätigte Faller mit belegter Stimme. »Ich fahre los.« Er fühlte sich beobachtet. Irgendwo musste der Unbekannte lauern. Verdammt geschickt eingefädelt. Man konnte sich in dem weitläufigen Gelände problemlos verstecken und die Situation per Fernglas im Auge behalten.
»Sie schalten das Handy nicht aus. Immer schön dranbleiben und Position durchgeben.«
»Ich fahre zur Landstraße vor«, antwortete Faller. Er beschleunigte und raste viel zu schnell an den Getreidefeldern entlang, aus denen um diese Jahreszeit allerlei Getier herausrennen konnte. Doch jetzt verschwendete er keinen einzigen Gedanken daran. Er wollte diese Sache endlich hinter sich bringen. Die Maisstängel huschten im Scheinwerferlicht vorbei.
»Landstraße erreicht«, meldete er, als er an der Einmündung kurz abbremste, um sich zu vergewissern, dass er keine Vorfahrt zu beachten brauchte. Er bog links ab und beschleunigte in Richtung des drei Kilometer entfernten Orts. Noch bevor er auf der Hochfläche ein kurzes Waldstück passierte, streiften in der dortigen Linkskurve die Scheinwerfer einen Kastenwagen, der auf einem Parkplatz stand. Faller sinnierte einen kurzen Augenblick, ob er von dort aus beobachtet wurde. Dann aber jagte er den BMW mit 120 km/h durch das Waldstück, beschleunigte weiter und nahm mit quietschenden Reifen die folgenden
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