Schattennetz
Alteingesessener, den ich gut kenn –, der hat mir gestern Abend vertraulich ein paar Tipps gegeben.«
Häberle nickte anerkennend. Er schätzte es ganz besonders, wenn die Kollegen Land und Leute kannten und die Kontakte auch pflegten. Orts- und Personenkenntnis, das predigte er seit Jahrzehnten, waren in diesem Beruf weitaus wichtiger als Bürokratismus und Verwaltungskram. Doch die in Stuttgart, wie er oft zu sagen pflegte, forderten Flexibilität – sprich: heute hier, morgen dort. Nach diesem Motto wurden auch Chefstellen besetzt – also in der Regel von Auswärtigen, die keinerlei Bezug zu ihrem Wirkungsbereich hatten. Häberle hatte schon oft darüber nachgegrübelt, welcher Sinn sich hinter solcher Personalpolitik verbarg. Vermutlich keiner. Im Laufe der Zeit hatte er aufgehört, nach einem vernünftigen Grund zu suchen. Denn ihm war klar geworden, dass sich alles nur an der Bürokratie orientierte. Und damit wäre die Suche nach der Vernunft vergebliche Liebesmüh gewesen. Und wo die Bürokratie nicht ausreichte, half etwas anderes. Etwas, für das es im Osten der Republik eine treffende Bezeichnung gab: Seilschaften.
An dies musste Häberle innerhalb einer Sekunde denken. »Und?«, hakte er nach und forderte den Kollegen auf, die vertraulichen Tipps preiszugeben.
»Czarnitz hat gleich nach der Wende alte Gewerbeflächen aufgekauft – zum Schnäppchenpreis. Aber nur solche, bei denen keine Altlasten zu erwarten waren«, erklärte der Beamte am Aktenschrank. »Dann hat er überwiegend großflächigen Handel angesiedelt: Baumärkte und Fressalien. Er soll da drüben wie der King aus dem Westen aufgetreten sein.«
Aha, Typ Großschwätzer, dachte Häberle und grinste in sich hinein.
»Er hat für seine Erschließungen überall irgendwelche Tochtergesellschaften gegründet und auch mal den einen oder anderen Konkurs hingelegt«, fuhr der Kollege fort, was Häberle zu der Bemerkung veranlasste: »Und dabei ein paar Teilhaber übern Jordan gehen lassen.«
»Natürlich, klar. Aber ihm selbst hats bei der Gelegenheit zu einer Villa am Gardasee gereicht – Lazise, schöner mediterraner Ort, ganz unten im Süden.«
Noch bevor Häberle dazu etwas sagen konnte, tauchte neben ihm Linkohr auf, der es eilig zu haben schien und gleich alle Blicke auf sich zog. Er nickte seinem Chef zu und deutete auf mehrere Seiten Papier, die er triumphierend in der Hand hielt. »Da hauts dirs Blech weg«, kommentierte er wieder einmal. »Ratet mal, was ich hier hab«, rief er in die Runde und drängte sich an Häberle vorbei in den Raum. Die Antwort gab er sich selbst: »Telekom und Vodafone haben schon reagiert. Und ich hab bereits was Spannendes gesehen.« Er legte die ausgedruckten Mails auf einen Tisch.
24
Anton Simbach hatte beim Frühstück wie immer nicht viel gesprochen. Ihm brummte der Schädel. Er hatte in der Nacht zu viel Whisky getrunken und dann noch ein langes Telefonat geführt. Die Kinder waren bereits gegangen und seine Frau machte sich schweigend und untertänig in der Küche zu schaffen. »Bei mir wirds später«, beschied er militärisch knapp und verließ das Haus. Er stieg in seinen dunkelblauen Mercedes-Kombi und fuhr aus dem Wohngebiet hinaus. Unterdessen drückte er am Handy, das in der Freisprecheinrichtung steckte, einige Tasten. Mit einem kurzen »Ja?«, meldete sich eine Männerstimme.
»Ich bins, der Anton. Hast dus schon erfahren? Wir haben das Ding gekriegt.«
»Na, prima. Und der Kerl hat richtig gespurt?«, kam es sächselnd zurück.
»Keine Vorkommnisse, alles perfekt erledigt.«
»Und wie läufts jetzt weiter?« Der Angerufene schien mehr an der bevorstehenden Entwicklung interessiert zu sein als an Simbachs organisatorischem Erfolg.
»Ich fahr heut zu den Jungs rauf und hol gerade noch den Carsten ab«, erklärte Simbach, während er auf die Bremse treten musste, weil vor ihm ein völlig verschmutzter Lastwagen aus Polen abrupt anhielt.
»Ihr müsst natürlich damit rechnen, dass die Bullen an der Sache dranbleiben.« Die Stimme räusperte sich. »Und dass sie möglicherweise mehr wissen, als wir ahnen. Oder hältst du diesen Kerl da … diesen … na, du weißt schon, wen ich meine … hältst du den für so zuverlässig, dass er sich an die Abmachungen hält? Dass er nicht zu den Bullen rennt?«
Simbach war irritiert. Woher sollte er das wissen? Er fuhr an dem stehenden Lkw vorbei und erreichte endlich den Stadtrand von Bischofswerda. »Ich geh mal davon aus, dass er ganz schön
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