Schattennetz
Kirchturm hätte Korfus gegolten.«
»Exakt. Denn wär der Montag hier kein örtlicher Feiertag gewesen, wäre Korfus, wie immer montags, zum Gebetsläuten in den Turm raufgestiegen.«
»Trotzdem hat dies alles gleich mehrere Haken. Erstens: Wieso kommt drei Tage vorher Simbach um? Zweitens: Wenn der Täter ein Hiesiger ist, muss er gewusst haben, dass am Kinderfest der Tagesablauf möglicherweise anders sein würde. Er konnte sich also nicht sicher sein, dass ihm Korfus in die Stromfalle gehen würde. Und drittens stellt sich sofort die Frage, weshalb war dann dieser Czarnitz zu diesem Zeitpunkt da oben? Einer, der mit der Kirche wohl gar nichts am Hut hat.«
»Richtig erkannt«, meinte Häberle. »Kein Mensch treibt sich grundlos im Kirchturm rum.«
Linkohr nickte. »Da fällt mir aber was ein. Wahrscheinlich gibts viel mehr Menschen, die da ein- und ausgehen, als wir denken. Die Mobilfunker müssen mit Sicherheit regelmäßig ihre Sendeanlage dort oben überprüfen.«
»Mann, Kollege, Sie sind spitze«, entfuhr es Häberle, der diese Erkenntnis gleich mit einem weiteren Schluck Weizenbier begoss. »Lassen Sie das morgen früh prüfen. Wir müssen wissen, wann zuletzt ein Mobilfunker am Werk war. Das sind Leute, die sich mit der Elektrik auskennen. Und eigentlich kommen nur solche für diese Basteleien an der Glockensteuerung in Frage. Sei doch alles professionell gemacht worden, sagen die Experten.«
»Schade nur, dass ein gelernter Elektriker schon tot ist.«
Häberle nickte, denn er wusste sofort, worauf Linkohr anspielte.
Anton Simbach war müde. Die lange Autofahrt nach Geislingen und wieder zurück hatte ihn schon angestrengt, dann das Gespräch mit Carsten Kissling in Dresden und nun wars Mitternacht, als er wieder in seinem Haus in Bischofswerda eintraf. Seine Frau schlief bereits – oder zumindest tat sie so, als habe sie ihn nicht kommen hören. Sie wollte sich heraushalten. In der Stimmung, in der sich Anton derzeit befand, würde eine einzige Bemerkung reichen, sich eine Ohrfeige einzufangen. Nein, sie wollte mit ihm nicht mehr reden. Nadine und Jonathan hatten sich in ihre Zimmer im Obergeschoss zurückgezogen.
Anton Simbach ging in sein Büro, holte aus dem Aktenschrank eine Flasche Whisky und genehmigte sich einen kräftigen Schluck. Dann lehnte er sich in seinem Schreibtischstuhl zurück und ließ die Ereignisse des Tages noch einmal vor seinem geistigen Auge ablaufen. Die Mordfälle in diesem kleinen Nest im Schwäbischen waren noch lange nicht ausgestanden. Schon auf der Autobahn hatte er sich den ganzen Tag über vorgestellt, wann die Polizei auch ihm unangenehme Fragen stellen würde. Carsten Kissling wollte zwar seine Kontakte nutzen, die er in all den Jahren seit der politischen Wende nie hatte abbrechen lassen. Doch letztlich würden auch die Beziehungen in höchste Kreise kaum etwas nutzen, um vor der Polizei sicher zu sein. Vielleicht aber würde die Kripo nicht zu tief in der Vergangenheit herumrühren. Man hatte doch ohnehin über manche dubiose deutsch-deutsche Affäre den vornehmen Mantel des Schweigens gehüllt, sodass sich einst wichtige Kontaktpersonen nun eines vornehmen Alterssitzes an bayrischen Seen erfreuen konnten. Wem würde es auch nützen, jetzt alte Geschichten aufzukochen?
Carsten hatte nach ihrem Gespräch im Café zur Frauenkirche im Beisein von Anton Simbach einige Telefonate geführt und die Situation geschildert. Doch jetzt wollte er selbst noch mit einem Mann sprechen, auf den es ganz entscheidend ankam. Simbach sah auf seine Armbanduhr. 10 Minuten nach Mitternacht. Er würde noch warten.
Während er die Whiskyflasche erneut an die Lippen setzte, schaltete er den Computer ein. Eine halbe Minute später zeigte der Bildschirm die gewohnten Icons. Simbach wollte seine Mails abrufen. Er erkannte eine Vielzahl von sogenannten Spams, also unerwünschten Werbemails, die er sofort löschte. Eines jedoch erweckte seine Aufmerksamkeit. Als Absender war kein echter Name zu lesen, sondern eine Fantasiebezeichnung: ›Look4x4x18‹. Der Betreff enthielt nur ein Wort: ›Eilt!‹ Simbach klickte drauf und bekam sofort den Text angezeigt, der – so war dem Eintrag in der Kopfzeile zu entnehmen – um 23.27 Uhr an ein halbes Dutzend weiterer Empfänger versandt worden war, die sich ebenfalls hinter ihren ›Nicknames‹ versteckten, wie die anonymen Adressen genannt wurden.
Simbach überflog den Text hastig, um gleich das Wichtigste zu erfassen. ›Äußerste
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