Schattenprinz 01 - Der Prinz der Schatten
unter einem Bann sagten oft nur, was der Zaubernde hören wollte.
Sie starrte auf die Münzen. » Ich weiß wirklich nicht, wo er diese Münzen herhat. Aus Atgath stammen sie nicht, das ist gewiss«, sagte sie und bemerkte nicht, dass ihr Leben an einem sehr dünnen Faden hing.
Ured drehte einen Silberschilling in den Händen. Kopf oder Zahl, das war hier die Frage. Wenn die Frau damit zur Burg lief, würde offenbar werden, dass der Verwalter Geld von außerhalb der Stadt bekommen hatte. » Werdet Ihr diesen rätselhaften Fund denn der Wache melden?«, fragte er möglichst unverfänglich.
» Der Wache? Seid Ihr noch bei Trost? Damit sie mir das einzig Gute nehmen, was mir von meinem Mann geblieben ist? Wovon soll ich denn leben, jetzt, da er tot ist? Glaubt Ihr, eine Wittfrau in meinem Alter findet leicht einen neuen Ernährer? Keinem Menschen werde ich davon erzählen, und ich wundere mich, dass ich es Euch sagte, Meister Ured. Doch Ihr seid nicht von hier und verschwiegen, nehme ich an. Ja, Ihr seid ein ehrlicher und aufrechter Mann, das sehe ich an Euren Augen. Ihr würdet eine arme Witwe sicher nicht an den Bettelstab bringen wollen, indem Ihr irgendjemandem hiervon erzählt!«
» Meine Lippen sind versiegelt«, versicherte Ured und entspannte sich.
» Danke, Ihr seid eine wahre Stütze in meiner Not, die einzige, und dabei ein Fremder.« Sie rückte näher an ihn heran und versuchte ein zaghaftes Lächeln. » Sagt, habt Ihr denn schon Quartier in unserer Stadt? Ihr wisst sicher, dass die Gasthöfe wegen des Jahrmarkts überfüllt sind, und die Wirte verlangen glatt das Doppelte für das armseligste Nachtlager. Das Bett meines Mannes hingegen wird jedoch leer bleiben und wäre somit ganz und gar nutzlos. Und ich gestehe, ich habe Angst, so ganz allein in diesem großen Haus. Wenn Ihr also noch nicht wisst, wohin in der kalten Nacht …«
Anuq, Anuq, Anuq, – das Mädchen schien einen Narren an diesem Namen gefressen zu haben und hörte einfach nicht auf, ihn so zu nennen. Anuqs Laune verschlechterte sich auch deshalb mit jedem Schritt, den sie über den Markt schlenderten. Er hatte von dem Jahrmarkt, von dem ihm die Köhlertochter so vorgeschwärmt hatte, auch deutlich mehr erwartet. Er war zunächst überrascht, dass es in dieser kleinen Stadt einen so großen Marktplatz gab, und er erfuhr von Ela, dass das einem der früheren Herzöge zu verdanken war, denn als der Silberrausch vorüber gewesen war, hatten viele Häuser in der Neustadt leergestanden, und der Herzog hatte Familien vom Markt einfach umgesiedelt und ihre Häuser abreißen lassen. » Er hat sie aber großzügig entschädigt, heißt es«, fügte sie entschuldigend hinzu.
So war Atgath also zu einem Marktplatz gekommen, der, so nahm Anuq jedenfalls an, an einem normalen Markttag viel zu groß war. Vermutlich war das auch die Ursache dafür, dass das Gedränge, das er erwartet hatte, einfach nicht zu sehen war: Die Menschen verliefen sich zwischen den großzügig gestellten Ständen. Er hatte keine Ahnung, ob er jemals zuvor auf einem solchen Markt gewesen war, aber ein unbestimmtes Gefühl sagte ihm, dass er schon viel belebtere Märkte gesehen haben musste. Die ganze Stadt beeindruckte ihn nicht sonderlich. Sie schien nicht besonders reich, sondern eher ärmlich zu sein. Ihre Häuser standen meist grau oder mit blätterndem Putz, schmal und dicht aneinandergedrängt, und dann gab es diesen viel zu großen Platz in der Mitte, der einfach nicht dorthin passte. Atgath war ganz gewiss nicht besonders schön, vielleicht auch nicht besonders hässlich – es war einfach ganz schrecklich langweilig.
» Es ist deshalb so ruhig«, erklärte Ela, » weil es eigentlich erst morgen richtig losgeht. Heute ist ohnehin Wochenmarkt, und du kannst alles kaufen, was du auch sonst auf dem Markt bekommst, aber morgen gibt es viel mehr Darbietungen. Dann finden auch die Ring- und Faustkämpfe statt, und die Fernhändler öffnen ihre Stände, denn morgen ist Göttertag und den folgenden Tag der Atgath-Tag, ein Feiertag. Da gibt es sogar Feuerwerk, und an beiden Tagen gibt es Rennen.«
Er nahm die Erklärung hin und war trotzdem enttäuscht. Die Stände boten Gemüse feil, Fleisch, Hühner, Gewürze, Fisch und Wolle – nichts, womit er im Augenblick etwas anzufangen wusste. Die Händler sahen nicht aus, als ob sie besonders gute Geschäfte machten. Der Namenlose hielt ohne bestimmten Grund nach einem Waffenhändler Ausschau, aber er fand keinen. Es hätte ihm
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