Schattenprinz 01 - Der Prinz der Schatten
umzudrehen, den Kopf und lief weiter. Grams trottete hinterher. Sein Nacken war schon ganz verspannt, weil der Gang für Mahre, aber nicht für große Menschen gemacht war. » Und wohin genau bringst du mich nochmal?«
» Du wirst hören«, erwiderte der Mahr.
» Wunderbar«, murmelte Grams und stapfte weiter. Er hatte sich auch nie Gedanken darüber gemacht, wie Marberic im Berg hausen mochte.
Plötzlich blieb der Mahr stehen. » Wir sind da«, flüsterte er, legte einen Finger auf die Lippen und öffnete vorsichtig eine steinerne Tür. Grams folgte dem Mahr, der die Pforte wieder sorgsam verschloss, und blieb beeindruckt stehen. Sie standen in einem weitläufigen Gewölbe, und im Gegensatz zu dem langen, unebenen Stollen war hier der Stein sorgsam geglättet. Der Mahr hob die kleine Laterne, aber sie war zu schwach, um den Raum oder Gang ganz auszuleuchten. Grams legte den Kopf in den Nacken und bestaunte dieses steinerne Wunder. Diese Halle war anders als alles, was er je zuvor gesehen hatte, wenn es denn eine Halle war. Vielleicht war es doch ein Gang, ebenso breit wie hoch und so weitläufig, dass er zur Rechten weder Decke noch Wand erkennen konnte. Er beschrieb zur anderen Seite offenbar eine lang gezogene Biegung, so dass er auch dort kein Ende erkennen konnte. Sie traten ein und wandten sich nach links. Grams blieb stehen, und seine Nackenhaare stellten sich auf. Er hörte etwas. Ein Flüstern, das über die steinernen Wände kroch. » Was ist das?«, fragte er.
» … ist das … ist das … ist das«, echote die endlose Halle, und wieder und wieder hallten Grams Worte von den Wänden. Es schien gar kein Ende nehmen zu wollen.
Der Mahr bedachte ihn mit einem finsteren Blick aus seinen seltsamen Augen und hob noch einmal den Finger an die Lippen. Grams nickte schuldbewusst. So etwas hatte er doch nicht ahnen können. Marberic zog ihn am Ärmel hinter sich her. Staunend folgte ihm der Köhler. Es schien ihm, als würde die Hallendecke ebenso wie die Wände allmählich näher kommen, und die Biegung, die die grünliche Laterne enthüllte, wurde immer stärker. Bald hatte er das Gefühl, dass sie in einem immer enger werdenden Kreis gingen. Ein Schneckenhaus, das ist ein riesiges, in Stein gemeißeltes Schneckenhaus, dachte er, als er dem Mahr folgte und versuchte, das vielstimmige Wispern, das über die Wände glitt, zu überhören. Dann, als er schon wieder den Kopf einziehen musste, weil der gewundene Gang so niedrig geworden war, erreichten sie plötzlich eine kleine Halle mit einer schwarzen Kuppel. » Hier kannst du reden«, erklärte Marberic.
Grams wartete auf das Echo, aber es kam nicht. Der Mahr entzündete drei größere Laternen, die an der runden Wand befestigt waren. Es gab einen steinernen Ring, weiter innen, und ganz in der Mitte stand ein kleiner Hocker neben einem niedrigen Steinblock, auf dem ein Horn ruhte. Es sah fast aus wie ein Stierhorn, war aber aus irgendeinem seltsamen Metall gefertigt. Ansonsten war die Halle vollkommen leer, und kein Schmuck zierte die schwarzen Wände.
» Was ist das für ein Ort?«, fragte der Köhler. Wieder gab es kein Echo, ganz im Gegenteil, seine Worte erstarben regelrecht ohne auch nur den Hauch eines Widerhalls. Grams lief ein kalter Schauer über den Rücken. Er wünschte sich, er hätte den Branntwein nicht stehen lassen.
» Hier hören wir, früher, heute selten«, erklärte Marberic schlicht.
Grams traute sich nicht, etwas zu sagen, und nickte nur. Der Mahr wies auf das Horn. » Versuch es«, sagte er.
Der Köhler seufzte, betrat den inneren Kreis und blieb sofort stehen. Da war es wieder, das Flüstern, ein leises Durcheinander von Stimmen, vielen Stimmen. Er schluckte. Marberic nickte ihm aufmunternd zu und nahm einen Schluck aus dem Milchkrug. Dann lächelte er versonnen. Aus irgendeinem Grund fand Grams das ermutigend.
Als er an den niedrigen Tisch trat und sich nach dem Horn bückte, wurden aus vielen Stimmen hunderte, die sich zu einem wirren, nervenzerrenden Flüstern vermischten. Er wollte das Horn aufheben, aber es war festgeschraubt. Also ging er schwerfällig in die Knie und versuchte, den Strom der Stimmen einfach hinzunehmen. Dann beugte er den Kopf über das Rohr und das Brausen verebbte zu einigen wenigen, leisen Stimmen. Der Mahr sagte etwas. Grams hörte ihn nicht, aber er verstand die Gesten. Er entdeckte kleine Schrauben an diesem Rohr, eigentlich zu fein für seine Finger, aber als er sie behutsam drehte, verschwanden
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