Schattenschwestern - Feehan, C: Schattenschwestern - Conspiracy Game
stand etwas, was viel zu nah an Liebe heranreichte, als sie ihn ansah – und damit entwaffnete sie ihn und gab ihm das Gefühl, nackt und angreifbar zu sein und kein Ventil für die grässliche Furcht zu haben, die sie in ihm ausgelöst hatte.
Furcht – sie schmeckte wie Galle in seinem Mund und ließ seine Eingeweide brodeln, bis er nur noch zu Taten Zuflucht nehmen konnte, um sie loszuwerden. Er machte auf dem Absatz kehrt, ließ sie stehen und machte sich auf den Weg zur Werkstatt und zu seinem Sandsack, weil er dringend etwas brauchte, worauf er einschlagen konnte, bis seine Hände blutig waren und er so verdammt müde war, dass er nicht mehr denken konnte.
»Warum hast du ihn geschlagen, Ken?«, fragte Briony.
»Weil er mein Leben höher bewertet als seines.«
»Und dir geht es umgekehrt nicht genauso?«
»Ich habe nicht dich und die Babys. Daran muss er jetzt denken, bevor er sich in die Schusslinie stellt.«
»Ich glaube nicht, dass sich daran etwas ändern wird. Und ich verstehe das alles nicht. Es war doch nur ein alter Mann«, sagte Briony zu Ken. »Er sollte sich nicht derartig darüber aufregen.«
»Denk nach, Briony, du musst dir immer erst Gedanken machen. Der alte Mann kommt oft hierher, wenn er etwas zu essen oder ärztliche Versorgung braucht. Wir kennen ihn, und wir lassen ihn auf das Grundstück. Er ist nicht mehr ganz richtig im Kopf, weil er zu lange allein gelebt hat, aber er ist ein anständiger Kerl. Wenn Whitney herausfinden will, wo du bist, was würde sich dann besser eignen, als Brady für seine Zwecke zu benutzen? Der Alte wüsste nicht einmal, dass sie ihn eingespannt haben. Sie brauchen ihm doch nur unbemerkt eine Videokamera unterzuschieben und ihn auf den Gedanken bringen, er müsste uns sehen, und schon haben sie ihren Spion im feindlichen Lager.«
Sie fasste sich an die Kehle. »Du glaubst doch nicht, dass sie das wirklich täten, oder?«
»Whitney hat Einblick in unsere Akten gehabt, Briony. Er ist nicht dumm. Weshalb sollte er es riskieren, seine Männer herzuschicken, ohne vorher sicherzustellen, dass du tatsächlich hier bist, und gleichzeitig eine Vorstellung von der Anlage des Hauses zu gewinnen? Ist dir aufgefallen, dass wir Brady nicht zum Haus mitgenommen haben? Wir nehmen ihn nie zum Haus mit. Wir setzen ihm Mahlzeiten vor, und wir geben ihm Lebensmittel, aber nicht oben im Haus – doch das können sie nicht wissen.«
»Wie grauenhaft es sein muss, so zu leben. Du meinst nicht, dass eine winzige Spur von Paranoia im Spiel ist?«
»Wir haben in fast jedem Land auf Erden Zielobjekte erledigt, Briony, und wenn unser Status auch noch so streng
geheim ist, so sind unsere Namen im Lauf der Jahre doch das eine oder andere Mal durchgesickert. Ab und zu macht jemand Jagd auf uns. So leben wir nun mal, und wenn du bleibst, wird es auch deine Lebensweise werden müssen.«
»Und was ist mit dem Baby?«
»Den Babys«, verbesserte er sie. »Sie werden es lernen. Wir werden es ihnen beibringen.«
»Das hat er also gemeint, als er gesagt hat, ich wäre eine zusätzliche Belastung.« Sie blickte zu Ken auf. »Er hat gewusst, dass jemand uns benutzen könnte, um an ihn heranzukommen, stimmt’s? Wenn sie uns gefangennehmen und uns foltern würden, täte er alles, um uns zurückzuholen, nicht wahr?«
»Wir werden dich und die Kinder beschützen. Du könntest nirgendwo anders sicherer sein. Jack und ich würden uns beide zwischen dich und jeden stellen, der dir etwas antun will.«
»Aber wer passt auf euch beide auf? Ich habe euch beide gerade erst in größere Gefahr gebracht, als ich mir vorgestellt hätte.«
»Jack und ich sind eine Familie. Wir werden immer eine Familie sein. Wir werden immer aufeinander aufpassen. Wenn du mit den Kleinen hier lebst, bist du ein Teil dieser Familie, so einfach ist das, Briony.«
»Ist es dir überhaupt recht, dass ich hier bin und euer Leben auf den Kopf stelle, Ken?«
»Ja, aber wie! Du machst ihn glücklich, Briony. Ich kann mich nicht erinnern, ihn jemals glücklich erlebt zu haben. « Ein bedächtiges Lächeln hob seine Mundwinkel, erreichte seine Augen jedoch nicht ganz. »Und du kannst kochen. Du hast uns doch etwas zum Abendessen gekocht, oder nicht?« Seine Stimme klang hoffnungsvoll.
Die Andeutung eines Lächelns minderte die Anspannung, die ihr ins Gesicht geschrieben stand. Sie ertrug es nicht, dass Jack wütend auf sie war. Sie hatte sich nichts dabei gedacht, allein durch den Wald zu schlendern – aber sie hätte
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