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Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen

Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen

Titel: Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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konnte. Es traf mich wie ein Schlag in die Magengrube und ich wünschte mir, die Frage nach ihrer Vergangenheit nie gestellt zu haben.
    »Ich habe all die grauenhaften Dinge selbst erlebt, von denen der Krieg nicht unbedingt das Schlimmste war. Trotzdem habe ich mir danach mehr als alles andere gewünscht, mich zumindest in eine Körperlose zu verwandeln. Doch diese Gnade wurde mir nicht zuteil.«
    »Warum nicht?«
    Als Antwort hielt Shirin mir ihre Handgelenke hin, um die sich breite Reifen aus Bernstein schlangen. »Das sind Sklavenringe. Sie binden einen an den Willen ihres Herrn, selbst wenn der schon lange nicht mehr ist. Weder in der Sphäre noch in der Menschenwelt wirst du etwas finden, das diese Ringe aus Bernstein sprengt. Denn niemand kann die Vergangenheit ändern. Ich verstehe es, wenn du die Entscheidungen ablehnst, die wir Überlebenden getroffen haben. Aber du solltest uns nicht verurteilen, denn du weißt nicht, welches Inferno wir überlebt haben.«
    Alles in mir wollte den Blick von den seidig schimmernden Reifen nehmen, die ich bislang bloß für Schmuckstücke gehalten hatte, doch es wollte mir nicht gelingen. »Fass sie an«, forderte Shirin mich auf, doch ich schüttelte den Kopf und wich zurück.
    »Begreifst du nun, dass nicht alles so einfach ist, wie es scheint? Die Sphäre ist heute ein ruhiger Ort, du kannst sogar deine Mila hierher mitnehmen, ohne dass eine andere Schattenschwinge sie versklavt - schon allein deshalb, weil kaum einer von uns diese alte Kunst noch beherrscht. Ich unterstütze dich darin, weil ich weiß, dass du nicht auf sie verzichten kannst, ganz gleich, was für einen Druck Asami oder andere auf dich ausüben werden, und weil ich möchte, dass du hier in der Sphäre bleibst. Aber du musst ein Einzelfall bleiben.«
    »Alles soll so bleiben, wie es ist.« Ich konnte ein abfälliges Schnaufen nicht unterdrücken. »Bist du davon wirklich überzeugt? Wenn ja, warum hast du dann zugelassen, dass Mila Ranuken seine Augenfarbe nennt? Damit hast du doch im Grunde genommen ein zweites Mal gegen die Wächter-Regel verstoßen.«
    Auf Shirins Haut, die dunkler als Schokolade war, glaubte ich rote Flecken auf ihren Wangen zu entdecken. Als sie wieder damit beginnen wollte, ihre schwarzen Krallen aufeinanderklicken zu lassen, schnappte ich mir ihre Hand und hielt sie fest. Noch einmal machten meine Nerven das Geräusch einfach nicht mit. Zu meiner Überraschung entzog Shirin sich mir nicht, sondern erwiderte den Druck sogar. Erst da begriff ich, dass die Berührung sie tröstete. Auch die scheinbar unnahbare Shirin brauchte Freunde.
    »Du hast recht, ich widerspreche mir selbst«, fuhr sie schließlich fort. »Ich bin so hin und her gerissen, seit Kastor dich zu mir gebracht hat. Das Zeichen auf deinem Unterarm hätte mich eigentlich dazu bringen sollen, stärker als je zuvor an der Wächter-Regel festzuhalten. Diese Kunst stammt aus der Zeit vor dem Krieg, sie war ein wesentlicher Schlüssel, mit der der Schatten so viel Macht erlangen konnte. Es ist mir ein Rätsel, wie dein Vater davon erfahren haben kann. Trotzdem habe ich mich dazu entschieden, dir zu zeigen, wie du diese Art von Magie, wenn schon nicht brechen, so doch zumindest beherrschen kannst. Damit habe ich mich gegen alles gerichtet, was wir aus dem Krieg gelernt zu haben glaubten.
    Aber ich kann nicht anders, es ist mir einfach nicht möglich, eine andere Schattenschwinge zu unterdrücken, nicht nach dem, was ich am eigenen Leib erfahren habe. Jemandem durch Schweigen seine Fähigkeiten vorzuenthalten, ist eine Sache. Damit bin ich stets zurechtgekommen. Aber den Willen eines anderen brechen, dass kann ich nicht. Wenn ich deshalb in Asamis Augen als Wächter versagt habe, dann ist das eben so.«
    Allmählich begriff ich, was sich heute im Morgengrauen zwischen Shirin und Asami abgespielt haben musste. »Asami will dir den Rang als Wächter entziehen, weil du mir - anstatt mich an die Leine zu legen - meine Freiheit zugestehst? Ist er wirklich so verbohrt, dass er so weit gehen würde?«
    »Ja, das ist er », antwortete Shirin im Brustton der Überzeugung. »Asami ist verunsichert, mehr als alle anderen - und das macht ihn so gefährlich. Du musst wissen, dass er eine kurze Zeit, nachdem der Krieg ein Ende gefunden hatte, in die Sphäre kam. Dass er dieses Elend der Menschenwelt vorzog, lässt einige Rückschlüsse auf seine Vergangenheit zu. Er hasst die Menschenwelt. Seinen menschlichen Körper hat er nur deshalb

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