Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen
meine Stimme, nur in anderer Form. Es war schneller als das Licht, und ehe ich vor Überraschung auch nur zusammenzucken konnte, spürte ich schon den Rückdrall. Eine Vielzahl an Reaktionen stürmte auf mich ein: freundliche, neugierige, aber auch weniger begeisterte. Bei einer Schattenschwinge prallte ich gegen eine Mauer, eine andere begegnete meinem Ersuchen mit purer Ablehnung, während wieder eine andere versuchte, sich voller Angst vor mir zu verbergen. Eine meiner Nachrichten ging in einer Leere verloren, die mich schmerzlich an das Weiße Licht erinnerte. All diese Schattenschwingen wollten nicht von mir berührt werden, aber so schrecklich sich ihr Widerwille auch anfühlte, ich konnte ihn nicht akzeptieren. Es stand zu viel auf dem Spiel. Wenn es mir nicht gelang, sie auf meine Seite zu ziehen, würde es vielleicht Asami gelingen.
Zum zweiten Mal sendete ich meine Nachricht aus. Erneut spürte ich den Widerstand und stemmte mich gegen ihn, bis ich ihn Stück für Stück überwand. Besonders das Weiße Licht machte mir zu schaffen, und fast glaubte ich, dass dort einfach niemand war, den ich mit meiner Nachricht erreichen konnte. Dann färbte sich das strahlende Weiß plötzlich grau ein und etwas in diesem Schatten griff gierig nach meiner Einladung. Von plötzlichem Widerwillen gepackt, wollte ich zurückzucken, doch da war es auch schon geschehen. Die Versammlung war ausgerufen. Beim Anbruch der Dämmerung würden sich die Schattenschwingen bei der Ruine versammeln.
Mehr verwirrt als erschöpft setzte ich mich auf den Baumstamm, der als Bankersatz diente. In meinen Knochen saß ein merkwürdiges Surren, als hätte ich mit der Nachricht ein Band zwischen mir und den fremden Schattenschwingen geknüpft, das mir nun irgendwelche Informationen zu übermitteln versuchte. Sicher war das ein Nebeneffekt meines fast gewaltsamen Übergriffs. Nun, wer konnte schon sagen, was mich diese Versammlung noch alles kosten würde.
Mit einem solchen Geschenk hatte er nicht im Geringsten gerechnet. Es kam als Nachricht verpackt und hatte ihn mit einer solchen Gewalt aus dem Schlaf gerissen, dass das Echo immer noch wie ein Donnerhall um ihn herum erscholl. Es war der Aufruf zu einer Versammlung gewesen, doch es hatte noch etwas viel Besseres enthalten: eine Spur, die ihm einen Weg aus diesem Gefängnis zeigte. Gemacht aus jener Art von Energie, die die Schattenschwingen nur erhielten, wenn sie der Menschenwelt innigst verbunden waren.
Gewiss, diese Beigabe hatte der Sender ganz bestimmt nicht beabsichtigt, genauso wenig, wie er ihn, den Schatten, hatte berühren wollen. Entweder, es steckte ein Plan dahinter - was er nicht glaubte, denn seine Verbündeten hatten im Krieg alle den Tod gefunden oder hastig ihre Sklavenzeichen abgestreift - oder sein junger Freund erwies sich als stärker als angenommen. So oder so, nur zu gern nahm er die Einladung zur Versammlung an. Er würde erscheinen, auf seine ganz spezielle Art.
27
Wechselspiel
Mila
Natürlich bemühten sich meine Eltern darum, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sie über Rufus’ verfrühte Rückkehr aus dem Häuschen waren. Und natürlich scheiterten sie bei dem Versuch: So viel geherzt und abgebusselt hatten sie meinen Bruder seit seinen Kindertagen nicht mehr. Allerdings hielt auch Rufus sich nicht zurück, er sprühte geradezu über vor Geschichten. Nur in manchen Momenten wirkte er in sich gekehrt und ich vermutete, dass seine Gedanken zu Sam und dem letzten Abend wanderten. Kaum war er seinem Freund wiederbegegnet, hatte er ihn erneut verloren - besser gesagt, ihn von sich gestoßen. Auch wenn Rufus mir keine einzige Frage zu Sam gestellt hatte - gerade so, als wäre alles geklärt -, hatte ich doch den Verdacht, dass er noch lange nicht mit dem Thema durch war. Er versteckte sich nur hinter der Fassade aus selbstgerechtem Zorn, weil alles andere ihn schlicht überfordert hätte.
»Wie sieht es aus, Mila, machen wir heute Abend was zusammen?«, sprach Rufus mich in einem ruhigen Moment an. »Ich würde gern hoch zur Steilklippe. Du weißt schon … ein wenig Seelenreinigung betreiben und so.«
Schau an, offensichtlich war mein Bruder doch nicht durch mit dem Thema Sam. Auch wenn er gerade ziemlich störrisch dreinblickte, hätte ich schwören können, dass es ihm doch ein bisschen leid tat, Sam gestern im Eifer des Gefechts zur Hölle geschickt zu haben. Allerdings kannte ich Rufus gut genug, um zu wissen, dass er sich widerspenstiger als ein
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