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Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen

Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen

Titel: Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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der Schattenschwingen hat sich bis auf die Menschenwelt ausgedehnt? Wie kann das sein, wo doch kein Mensch eine Ahnung von uns hat? So etwas wäre doch unmöglich an ihnen vorbeigegangen, selbst wenn sie zu diesem Zeitpunkt nicht mehr als Jäger und Sammler gewesen sein mögen.«
    Shirin sah mich lange prüfend an, bis ich mich unter ihrem Blick zu winden begann. »Wir können den Menschen vieles rauben, auch ihre Erinnerung. Du hast es doch auch schon einmal probiert, nicht wahr, Samuel?«
    »Schon, aber ich wollte Rufus nichts Böses«, platzte es aus mir heraus, bevor ich auch nur eine Sekunde nachgedacht hatte.
    »Nein, dass wolltest du nicht. Das ändert jedoch nichts daran, dass du diese Fähigkeit trotzdem dafür einsetzen konntest, ihn zum Spielball deines Willens zu machen. Die Verbindung, die zwischen uns und der Menschenwelt besteht, kann für grausame Dinge genutzt werden. Das hat nicht erst der Krieg bewiesen. Das ist auch der Grund, warum es seitdem Wächter in der Sphäre gibt: Damit wir vor lauter Blindheit nicht ein weiteres Mal beide Welten an den Abgrund drängen können.«
    Meine Gedanken hingen noch an der Verbindung zwischen unserer und der Menschenwelt fest. Als ich jedoch zu sprechen ansetzte, gebot Shirin mir mit einer schlichten Handbewegung, den Mund zu halten.
    »Ich weiß, das ist alles etwas viel auf einmal. Normalerweise lasse ich mir Zeit, wenn ich junge Schattenschwingen in diesen dunklen Teil unserer Geschichte einführe. Nur ist jetzt leider nicht der richtige Augenblick, um in Ruhe über unsere Geschichte zu plaudern. Du musst mir zuhören und begreifen. Fragen stellen kannst du mir ein anderes Mal.
    Die Phase nach dem Krieg war in vielerlei Hinsicht fast genau so schlimm wie der Krieg selbst. Voller Schmerzen, Entbehrungen und Verluste. Wenn man kämpft, begreift man kaum die Zerstörung um einen herum, alles ist auf den Augenblick, auf das Gewinnen und Überleben ausgerichtet. Man verschwendet keinen Gedanken daran, wie man später mit den Kosten leben soll. Die meisten der Alten, die überlebt haben, sind nicht länger Schattenschwingen geblieben: Einige haben sich das Leben genommen, andere haben sich zum Schlafen gelegt oder sie sind zu Körperlosen geworden, ohne menschliche Hülle und somit ohne einen Großteil ihrer Macht.
    Wir Überlebenden haben eine neue Gesellschaft aufgebaut und dabei versucht, Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen. Die mächtigste Schattenschwinge, der wir all die Zerstörung und das Chaos zu verdanken hatten, haben wir in einen ewigen Schlaf gebannt. Außerdem haben wir die stille Übereinkunft getroffen, dass es besser für die Jüngeren unter uns ist, nicht alles über uns Schattenschwingen zu wissen, über unsere Gaben und die Verbindung zur Menschenwelt. Der damit einhergehende Verlust von Wissen ist den Frieden viele Male wert. Darum sind wir Neuzugängen in der Sphäre gegenüber so verschlossen. Es sind ja ohnehin nur sehr wenige, seitdem die Älteren nicht länger in die Menschenwelt wechseln, um sie zu suchen und ihnen den Weg in die Sphäre zu zeigen. Denn die meisten Schattenschwingen haben keine Ahnung davon, was sie eigentlich sind. Wie sollten sie da eine Vorstellung davon haben, wie man wechselt oder gar, welche Pforte zu ihnen gehört? Seit dem Krieg verkümmern die meisten Schattenschwingen in der Menschenwelt, weil niemand kommt, um sie zu holen, und irgendwann sterben sie. Wer hierher findet, hat es dem Zufall zu verdanken. Dafür herrscht in der Sphäre seit langer Zeit Frieden.«
    Es fiel mir schwer, bei Shirins letzten Worten nicht aufzuspringen, eine solche Wut riefen sie in mir hervor. Wenn mein Vater mich nicht über die Klippe getrieben hätte, hätte ich vermutlich für den Rest meines Lebens in der Menschenwelt festgesessen, mit dem stets an mir nagenden Gefühl, das falsche Leben zu führen. Und das nur, weil die alten Schattenschwingen so ensetzt über ihre eigenen Taten vor und während des Krieges waren, dass sie die nach ihnen Geborenen lieber verkümmern ließen, als ihnen eine Chance zu geben!
    »Du hast diesen Krieg und das ganze Unheil davor miterlebt, oder?« Meine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern, trotzdem gelang es mir kaum, meine Gefühle zu verbergen.
    Der Blick, den Shirin mir zuwarf, ließ mich augenblicklich allen Unmut vergessen. In ihren matten grauen Augen, die laut Mila sandfarben mit einem grünen Reif herum waren, spiegelten sich Trauer und Verzweiflung von einer Tiefe, die ich nicht ermessen

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