Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen
freiwillig auf diese Selbsthypnose einließ, während das hier gegen meinen Willen geschah. Ich konnte mich einfach nicht aus dem Sog befreien, der sich in mir auftat. Immer leiser klang mir Sams Stimme in den Ohren, der Aufenthaltsraum und meine Mitschüler waren längst vergessen, und ich spürte meinen Körper nicht mehr. Mein Blick war auf eine fremde Welt gerichtet.
In meiner Vision kämpfte Hell gegen Dunkel. Das Helle so gleißend weiß wie eine Explosion, das Dunkel samtig und doch bodenlos tief. Die beiden Gegensätze rangen miteinander und verschmolzen dabei immer wieder. Aus jener hauchdünnen Sphäre, die zwischen ihnen lag, tat sich ein Schatten auf. Bevor ich mich versah, hatte er mich umhüllt wie eine Decke, die nichts zu durchdringen vermochte. Er umschmeichelte mich, lullte mich ein, während er zu erforschen versuchte, wer ich eigentlich war. Welchen Nutzen er an mir hatte. Die Berührung war federleicht, fast liebkosend. Aber sie hinterließ ein Brennen und beängstigende Leere, als der Schatten vom Spiel aus Hell und Dunkel für einen Augenblick zurückgedrängt wurde. Bevor ich mich jedoch aus der Vision befreien konnte, tauchte er auch schon wieder auf und ich spürte, wie sich sein Verlangen nach mir verdichtete, wie er anfing, Worte zu formen. Einflüsterungen. Verführungen, denen ich fast erlag, obwohl ich nicht einmal annähernd begriff, was eigentlich geschah. Zu einnehmend waren seine Versprechungen, die nicht mehr waren als der lockende Klang seiner Stimme, als dass ich länger hätte widerstehen können.
Als hätte er meinen nachlassenden Widerstand erkannt, setzte der Schatten zu einem plötzlichen Angriff an. Überlass dich meinem Willen , flüsterte er mir mit samtiger Stimme zu. Zwar nahm ich die verräterische Gier wahr, die sich hinter diesem verführerischen Angebot verbarg, doch ich war mittlerweile zu sehr von ihm eingelullt, um zu reagieren. Ich sehnte mich nur noch nach der Süße des Schlafes, den er versprach. Alles aufzugeben, das mich ausmachte, und mich vollkommen dem Willes eines anderen zu überlassen, erschien mir mit einem Mal als die wunderbarste Idee von allen. Und danach würde es keine weiteren geben. Mein Ich wäre ausgelöscht.
»Mila?«
Bevor ich dem Locken nachgeben und in die Tiefe des Schlafs gleiten konnte, zerschlug Sams durchdringende Stimme wie ein gleißendes Schwert die Vision. Ich spürte eine Berührung an meinem Oberarm, nur ganz leicht, und doch fühlte es sich an, als spülte eine Meereswoge über mich hinweg. Das Bild, eben noch eingebrannt in meinem Inneren, wurde fortgewischt wie Staubspuren, so spielend gelang es Sam, mich mit seiner Stimme und einer Berührung zu befreien. Zurück blieb ein kurz aufwallendes Gefühlschaos: Wut, Verzweiflung, Sehnsucht, Angst - all diese Empfindungen wirbelten durch mich hindurch, ohne sich an etwas festmachen zu können, als wüssten sie schon nicht mehr, was sie eigentlich ausgelöst hatte. Ich wurde so unvermittelt aus meiner Vision herausgerissen, dass ich mir nicht einmal mehr sicher war, ob es sie wirklich gegeben hatte.
Und doch, dämmerte es mir, hatte das Bild, von dem Sam mich mit einer solchen Macht befreit hatte, mir etwas gezeigt, das sich meinem Verständnis entzog. Es war ein Angriff gewesen. Etwas oder jemand hatte versucht, sich meiner zu bemächtigen. Kaum hatte ich das begriffen, schob ich die Erkenntnis fort wie einen vergifteten Apfel, zu sehr erschreckte sie mich.
»Mila?«
Erneut sagte Sam meinen Namen, eindringlich und auch voller Sorge. Nur widerwillig öffnete ich die Augen, obwohl ich ahnte, dass es mir guttun würde, ihn anzusehen. Er hatte sich weit über den Tisch gelehnt, der strahlende Glanz seine Aura umgab ihn so leuchtend, dass ich kaum seine Gesichtszüge ausmachen konnte. Seine Hand lag um meinen Oberarm und griff dermaßen fest zu, dass es wehtat. Aber das begriff ich erst jetzt, vor einer Sekunde noch war da kein Schmerz gewesen. Ich wollte aufstöhnen, doch meine Lippen waren wie festgefroren. Ich fror am ganzen Körper, ohne jedoch zu zittern. Als ich seinen Blick erwiderte, lockerte Sam endlich den Griff. Er sah ernsthaft besorgt aus.
»Ist wieder alles okay bei dir?«
Ängstlich horchte ich in mich hinein, doch das Bild hatte sich endgültig verflüchtigt. In meinem Inneren herrschte bloß Erschöpfung. Meine Glieder spürte ich kaum, nur die Stelle, wo Sam mich berührt hatte, fühlte sich an, als hätte er mich verbrannt. Ansonsten war mir nur ein wenig
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