Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen

Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen

Titel: Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
Vom Netzwerk:
hatte eine Ahnung von dieser unheimlichen Macht bekommen, die da am Werk war, als Sams Narben jene unheilvolle Vision heraufbeschworen hatten.
    Ich verstand nicht, um was es bei all dem ging, aber etwas in mir wusste mit derselben Gewissheit, mit der ich bereits vor Jahren als Kind erkannt hatte, dass Sam ein geheimer Zauber umgab: Wo immer Sam jetzt war, er würde zurückkommen. So, wie er es mir versprochen hatte. Schließlich hatte er den Bann des Schattens schon einmal gebrochen, damals, als er nach mir gegriffen hatte. Nur, wann das sein würde und wer er dann war, das wusste ich nicht. Mir blieb nichts anderes zu tun, als auszuharren, zu warten und zu hoffen, auch wenn ich beim Anblick des hellen Flecks, der sein Gesicht in der Zeichnung war, fast aufgefressen wurde von dem Verlangen, ihm zu helfen. So, wie es der Motte in dem Lied erging, so würde es auch mir ergehen: Ich konnte Sam nicht widerstehen, auch wenn mich die Liebe zu ihm wie ein Feuer verbrannte. Denn für mich war er unerreichbar.

15
    Nachtglühen
    Der Sommer hatte seinen Höhepunkt bereits überschritten, die Tage zogen ruhig dahin. Den Strand hatte ich bislang gemieden. Immer, wenn ich am Wasser war, bog ich direkt zum Hafen ab und warf keinen Blick in seine Richtung. Obgleich ich es mir nicht erklären konnte, liebte ich es mittlerweile, auf Deck der Wilden Vaart zu sitzen. Das leichte Auf und Ab des Meeres beruhigte mich. Wenn mein Vater einen Törn vorschlug, war ich nun sofort einverstanden. Besonders wenn wir draußen auf dem offenen Meer waren, sodass keine anderen Schiffe mir die Sicht versperrten, fühlte ich mich seltsam friedlich. Stundenlang konnte ich auf das Wellenspiel schauen, während Lena neben mir im Windschatten hockte, die Stöpsel des iPods in den Ohren und Romane verschlingend. Oder wir lungerten im Garten meiner Mutter herum - Reza bezeichnete uns immer als ihre zwei dekorativen Statuen, weil wir nur herumsaßen und zu nichts nutze waren.
    Die Zeichnung, die ich wie in Trance von Sam angefertigt hatte, lag versteckt unter meinem Bett. Obwohl kein Tag verging, an dem ich nicht über sie nachdachte, traute ich mich nicht, sie hervorzuholen. Dafür warf sie zu viele Fragen auf und sie erinnerte mich quälend daran, dass ich keine Möglichkeit hatte, Sam zu Hilfe zu kommen. Das würde nur ihm allein gelingen. Ich mochte zwar nicht begreifen, worin Sams Zauber bestand, trotzdem gab es ihn und er hatte ihn vor dem sicheren Tod beschützt. Nachdem ich die Zeichnung beendet hatte, war mir das alles ganz klar erschienen. Nur kamen mir mittlerweile Zweifel, vor allem an meinem eigenen Verstand. Konnte ich all das wirklich glauben oder steigerte ich mich in eine fixe Idee hinein, weil ich die Wahrheit, dass Sam doch tot war, nicht ertragen konnte?
    Neidisch dachte ich an Lena, die einfach nur unter ganz gewöhnlichem Liebeskummer litt. Der trieb sie zwar auch in den Wahnsinn, aber sie musste wenigstens nicht damit rechnen, beim Psychologen zu landen, wenn sie ihre Gedanken aussprach.
    Als schließlich mein sechzehnter Geburtstag vor der Tür stand, versprach er der unspektakulärste zu werden, den ich jemals erlebt hatte. Meine Eltern hatten jede Menge Vorschläge für einen Ausflug gemacht, doch ich hatte mich für einen Grillabend entschieden. Eigentlich hatte ich immer gedacht, an meinem sechzehnten Geburtstag würde ich eine Riesensause schmeißen, doch jetzt kam mir der Gedanke lächerlich vor. Also hatten sich meine Eltern gefügt, obwohl ihre Enttäuschung spürbar gewesen war.
    Am Vormittag war ein Paket von Rufus eingetroffen. Es enthielt eine Karte, die eine große Überraschung zu meinem Geburtstag ankündigte, und jede Menge verrückter Sachen: eine Sammlung von Korken aus Weinflaschen, die er an verschiedenen Orten geleert hatte, Überraschungseier, die komplett anderes aussahen als bei uns, sowie ein T-Shirt, auf dem angeblich »Kleine Schwester« in Spanisch draufstehen sollte. Noch war ich nicht dazu gekommen, das im Netz zu überprüfen. Aber auch so war ich mir sicher, dass da etwas ganz anderes draufstand. Ich kannte meinen Bruder. Trotzdem hatte ich das T-Shirt zur Feier des Tages angezogen.
    Nun stand ich mit Lena in der Küche und schnitt Tomaten für einen Salat klein, während meine Eltern draußen auf der Terrasse gemeinschaftlich versuchten, den Holzkohlegrill in Gang zu bringen. Immer wieder glitt Lenas Blick über mein leuchtend oranges T-Shirt.
    »Denkst du, Rufus lebt im Augenblick abstinent?

Weitere Kostenlose Bücher