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Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen

Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen

Titel: Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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Rufus’ Aftershave eingesprüht hatte. Ich musste schwer schlucken, drängte meine Tränen aber erfolgreich zurück. Darin war ich mittlerweile eine wahre Meisterin. Es war schon ein Wunder, dass wir beiden Liebeskranken uns nicht gegenseitig runterzogen, sondern - still leidend - das Beste aus unserem gemeinsamen Sommer machten. Ohne Lena wäre ich gewiss wahnsinnig geworden. Weil sie ständig um mich herum war, kam ich gar nicht dazu, in meinem Kummer zu versinken und zuviel darüber nachzudenken, was Sam zugestoßen sein mochte. Dass ich ihr ebenfalls dabei half, damit fertig zu werden, dass Rufus für sie mehr denn je unerreichbar war, erleichterte mich ungemein.
    Nachdem ich jede Menge Stylingcreme in ihr Haar gestrichen hatte, gelang es mir tatsächlich, einen Bauerzopf zu flechten, auch wenn der nur bis zu ihrem Nacken reichte. »Fertig. So kannst du dich wenigstens auf der Straße blicken lassen.«
    Lena beäugte sich kritisch. »Für den Pferdestall wird es wohl reichen. Und du willst wirklich nicht mitkommen? Wir könnten Saskia anrufen und fragen, ob du auf Merlin ausreiten darfst, dann wären wir zusammen.«
    »Nein, danke«, schoss es aus mir hervor. Das einzige Pferd, auf das ich mich hinaufwagte, war eine gutmütige Stute namens Vanderbilt. Nur war Vanderbilt jetzt trächtig und wollte sich gar nicht mehr rühren. Ich war es eh leid, gemächlich durch die Landschaft zu traben, während Lena mit Artemis die tollsten Sachen anstellte.
    »Dann komm trotzdem mit, sonst bist du hier alleine. Reza meinte, sie käme frühestens am Nachmittag von ihrem Frauenpicknick zurück und dann müsste sie erst einmal ihren Sektrausch ausschlafen. Im Stall hängt doch immer jemand rum, mit dem man quatschen kann.«
    »Ja, aber ich mag mir heute keine Fachsimpeleien über Pferde anhören. Es ist mir einfach zu heiß dafür. Ich bleibe schön im kühlen Haus und werde nach langer Zeit mal wieder den Pinsel schwingen.«
    Seit Sams Verschwinden hatte ich keinen Stift mehr angefasst, schlicht aus der Furcht heraus, was ich wohl malen würde. Genau wie meinen Träumen traute ich der Malerei nicht mehr über den Weg. Ich hatte den Verdacht, dass ich nicht im Stande sein würde, einen Blumenstrauß zu malen, selbst wenn ich es mir fest vornahm. Es würde etwas anderes werden, etwas, das ich vielleicht nicht sehen wollte. Etwas Dunkles, das nach mir griff - wie in meinen Träumen.
    »Das halte ich für eine gute Idee.« Lena schenkte mir ein Lächeln. »Weißt du schon, in welche Richtung es gehen soll?«
    Eigentlich hatte ich die Malerei nur als Vorwand benutzt, um Lena abzuwimmeln, aber mit einem Mal erschien es mir doch wie eine lohnenswerte Herausforderung. Vielleicht war es an der Zeit, mich meinen Ängsten zu stellen. Konnte ja auch gut sein, dass der Blumenstrauß ein Blumenstrauß blieb. »Nein, noch nicht. Irgendwelche Vorschläge?«
    Lenas Lächeln bekam eine gehässige Note. »Versuch es doch mal mit Aktmalerei. Dein Bruder hat ein paar interessante Fotos von dieser Jasmin, mit der er letztes Jahr etwas hatte, zwischen seinen CDs. Ein blöder Ort, um so etwas zu verstecken.«
    Mir fiel kurz die Kinnlade herunter, dann verdrängte ich das, was ich da gerade gehört hatte. Es gab Dinge, die musste ich über meinen großen Bruder einfach nicht wissen. »Ich male ein paar Wolken, das ist so schön unverfänglich.«
    »Wie du meinst. Also dann … bis später.«
    Zum Abschied zog ich Lena an der Spitze ihres Zopfes. Sie stieß ein kurzes Quieken aus, dann verschwand sie auch schon um die Ecke.
    Ermutigt kramte ich meine Malsachen hervor, die ich lieblos in die Schreibtischschublade geworfen hatte, als wären sie ein ausgedientes Spielzeug. Meine Finger fuhren über den Aquarellkasten und über die Schachtel mit der Kreide, doch zu guter Letzt entschied ich mich für den Kohlestift. Ich würde kein großes Projekt in Angriff nehmen, sondern mich erst einmal mit einer Skizze begnügen. Die perfekte Beschäftigung, denn der heutige Tag lastete besonders schwer auf meiner Brust: Es war Sams achtzehnter Geburtstag. Ich hatte das niemandem gegenüber erwähnt, weil ich es leid war, von allen aus den Augenwinkeln beobachtet zu werden. Lenas verstörter Ausdruck oder die Sprachlosigkeit meines Vaters waren zwar alles Beweise, wie sehr diese Menschen mich liebten und sich um mich sorgten, aber sie belasteten mich zu sehr. Ich brauchte alle meine Energie, um nicht zu verzweifeln.
    Mit dem Zeichenblock unter dem Arm ging ich hinunter

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