Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen
Sie ließ mich los und klatschte in die Hände. »Darauf stoßen wir an, und zwar mit Champagner. Das ist genau die richtige Einstimmung für die Party, auf die ihr beiden heute Abend gehen werdet. Und zwar, bis die Sonne morgens wieder aufgeht.«
Lena jauchzte neben mir begeistert auf, und ich stimmte ebenfalls mit ein, auch wenn ich dabei etwas künstlich klang. Wenn ich mir genug Mühe gab, würde der Spaß bestimmt von ganz allein kommen, redete ich mir ein.
Lena saß im Schneidersitz im Sand, schüttelte lachend den Kopf und sagte erneut: »Ich kann das nicht. Da bekomme ich eher einen Knoten in die Finger.«
Julius, ein Junge aus unserem Jahrgang, hockte neben ihr und hielt seine Hände wie Auffangschalen unter Lenas Versuch, eine Zigarette zu drehen. »Du kannst das! Du musst nur ganz locker die Finger bewegen. Entspann dich einfach.«
»Ich bin komplett entspannt. Noch ein bisschen mehr und ich lasse mich einfach auf den Rücken plumpsen und strecke alle viere von mir.«
Der Ausdruck auf Julius’ Gesicht verriet, dass er nichts dagegen hätte, wenn Lena sich tatsächlich in den Sand fallen ließe. Aufmerksam beobachtete ich den Jungen, der mir zuvor in der Schule nie groß aufgefallen war. Er hatte die Sommerferien auf Sprachurlaub in London verbracht, was ihm offensichtlich gutgetan hatte. Den Seitenscheitel hatte er gegen einen Irokesen eingetauscht und das Ramones -T-Shirt war ebenfalls ganz nach Lenas Geschmack. Außerdem glaubte ich in seinem Mund etwas aufblitzen gesehen zu haben, das auch meiner Freundin bestimmt nicht entgangen war. Etwa ein Zungenpiercing? Jedenfalls wirkte Julius überraschend selbstsicher, wenn auch eine Spur wichtigtuerisch. Genau der richtige Typ Junge, um Lena auf andere Gedanken zu bringen, ohne ihr gleich das Herz zu brechen.
Endlich hatte Lena ihre Zigarette hinbekommen, auch wenn das Gebilde kaum wie etwas aussah, das man rauchen konnte. Julius versuchte es trotzdem, was ihn mir noch ein Stück sympathischer machte. Lächelnd nahm ich einen Schluck Bier, um sofort das Gesicht zu verziehen. Nachdem ich die Flasche schon seit gut einer Stunde zwischen den Händen gehalten hatte, war das Bier warm und ohne eine Spur von Kohlensäure. Unauffällig stellte ich die fast noch volle Flasche zu den leer getrunkenen der anderen Partygäste in den Sand. Bernhard aus der Parallelklasse, der nur ein paar Schritte weiter mit einigen anderen Leuten beisammensaß, schaute genau in diesem Moment zu mir hinüber.
»Möchtest du noch eins?«, fragte er und holte dabei schon eine Dose aus dem Sixpack neben sich hervor.
Schnell schüttelte ich den Kopf. »Nein, danke. Ich glaub, ich mag kein Bier.«
»Wir haben auch Weißwein. Denke ich zumindest.«
Ehe ich ihn erneut abweisen konnte, organisierte er bereits eine Flasche und sogar einen Plastikbecher. Innerlich stöhnte ich auf, riss mich allerdings gleich wieder zusammen. Heute Abend wollte ich Spaß haben. Gut, Spaß war als Ziel vielleicht zu hoch angesetzt, aber zumindest wollte ich die Party nicht als diejenige verlassen, die nur mit langem Gesicht abseits gesessen hatte. Also nahm ich den Becher mit Weißwein entgegen und bedankte mich.
Bernhard rutschte durch den Sand zu mir herüber, was Lena mit einem breiten Grinsen bedachte, ehe Julius wieder ihre Aufmerksamkeit auf sich zog, indem er Rauchringe in den Nachthimmel blies.
»Diese Party hier ist der perfekte Wiedereinstieg in das Leben von St. Martin«, begann Bernhard zu erzählen. »Ich bin gestern erst von einem Segeltörn wiedergekommen. Wir sind in der Adria von Bucht zu Bucht gesegelt. Das war riesig, aber es geht halt nichts über eine gepflegte Feier zu Hause.«
Man sah Bernhard deutlich an, dass er viel Zeit in der Sonne verbracht hatte. Die Zähne leuchteten regelrecht weiß in seinem gebräunten Gesicht auf, wenn er mich anlächelte. Er redete eine ganze Weile über die Orte, die er gesehen hatte, über interessante Menschen, wie man sie wohl bloß auf Reisen kennenlernte, und übers Segeln an sich. Ich nippte immer wieder an meinem Wein, der einfach nicht weniger werden wollte, und versuchte, mich auf Bernhards Stimme zu konzentrieren. Er war ein netter Kerl und gab sich wirklich Mühe, mich zu unterhalten. Trotzdem fiel es mir schwer, mich auf ihn einzulassen. Vermutlich hatte meine Mutter recht mit dem, was sie über meinen Schutzpanzer gesagt hatte. Ich hielt alles von mir fern und das war nicht gut.
Als ich den Becher endlich geleert hatte und Bernhard
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