Schattenspieler (German Edition)
bleiben, sagte Sommerbier sich. Er
zauberte ein bisschen ungläubige Überraschung auf sein Gesicht.
»Wie komme ich denn zu der Ehre?«
»Na, hören Sie mal«, sagte der Major und wiegte jovial den
Kopf. »Es ehrt Sie ja, dass Sie keinem erzählen, wer Ihr Schwiegervater
ist. Sie sind einer von denen, die keine Extrawürste
wollen. Na schön. Aber nun hat Air Marshal Talley seine Tochter
extra einfliegen lassen, um Sie abzuholen. Also freuen Sie
sich gefälligst!«
Sommerbier verbreiterte sein Lächeln, während seine Gedanken
rasten. »Wo ist sie?«
»Das Lokal hat ein Hinterzimmer.« Der Amerikaner zwinkerte.
»Soso. Na, dann will ich mal, was?«, sagte Sommerbier,
zwinkerte zurück und trat in die schummerige Gaststube.
»Und tun Sie überrascht! Ich hab nichts gesagt!«, rief der
Major ihm noch hinterher.
Mit einem Blick erfasste Sommerbier den Raum. Außer
ihnen waren keine weiteren Gäste da. Stühle wurden gerückt,
als die anderen sich setzten. Zigaretten glommen auf.
»Setz dich zu uns, James!«, rief Henry Tibbott ihm entgegen.
Offenbar ahnte von den anderen niemand, dass hier eine
Frau auf ihn wartete.
Im Hintergrund des Raumes war eine doppelte Tür mit
Milchverglasung. Dahinter war schemenhaft eine stehende
Person zu erkennen. Überraschung fast gelungen, dachte Sommerbier.
Er hätte die Frau gern gesehen. Aber das ging jetzt
nicht.
»Komme gleich«, rief er Tibbott im Gehen zu. Mit ein paar
langen Schritten war er im Gang zu den Toiletten verschwunden.
Als er durch die quietschende Tür trat, konnte er sein Glück
kaum fassen: Eine Bombe war im Hinterhof eingeschlagen
und hatte in die Rückwand der Gaststätte direkt hinter der
Toilette ein mannshohes Loch gerissen. Es sah fast surreal aus:
Vorn der Raum mit seinem regelmäßigen eierschalfarbenen
Kachelmuster, Spülkasten und Kette, dahinter der Trümmerhaufen,
mit der nächsten Ruine als Kulisse.
Er stieg durch das Loch nach draußen. Ein paar Minuten,
dann würde jemand nachsehen, wo er blieb. Spätestens wenn
sie anfingen, ernsthaft nach ihm zu suchen, sollte er die Stadt
verlassen haben.
Er lief über den Schutthaufen und fand durch die Hausruine
auf der anderen Seite des Innenhofes auf die Parallelstraße.
Auch hier war kaum jemand unterwegs. Ein paar Kinder übten
Rollschuhlaufen. Und dann sah er, dass in einer Seitenstraße
ein Militärjeep parkte. Soldaten waren nicht in der Nähe.
Er überquerte ohne Eile die Straße, blickte sich noch einmal
um und schwang sich mit der größten Selbstverständlichkeit
auf den Fahrersitz. Der Zündschlüssel steckte. Amerikaner
eben.
Sommerbier startete den Motor und gab Gas. Während er
den Jeep aus der Stadt lenkte, dachte er an Gardiners Frau,
die hinter dieser Milchglasscheibe stand und deren Vorfreude
sich wahrscheinlich gerade jetzt in Irritation aufzulösen begann,
um bald in Enttäuschung überzugehen. Und auf einmal
stellte er fest, dass er Mitleid mit dieser Unbekannten hatte.
Ein Gefühl, das ihm nicht besonders vertraut war.
»Diese Zufälle werden mir langsam unheimlich«, murmelte
Friedrich. »Bist du sicher, dass der Kerl in dem Schloss wirklich
Sommerbier hieß?«
»Überhaupt kein Zweifel«, sagte Leo bestimmt. »Der auf der
Kellertreppe hat zweimal nach Sommerbier gefragt, das war
ganz deutlich zu verstehen. Und der andere hat ihn Albrecht
genannt. Albrecht Sommerbier. Das ist doch kein Allerweltsname!
Es muss derselbe sein.«
Friedrich nickte langsam. »Das ist wirklich unglaublich. Ich
habe das Gefühl, wir schießen mit verbundenen Augen Pfeile
in die Luft und jedes Mal fällt ein Rebhuhn vom Himmel.«
Leo lachte.
Friedrich überflog den Brief noch einmal.
»Irgendwie passt das überhaupt nicht zusammen«, sagte er.
»Auf der einen Seite ziehen sie plündernd durch die besetzten
Länder, raffen den Besitz von deportierten Juden zusammen
und bringen sich gegenseitig um. Und dann schenken sie sich
wieder Bilder und stoßen mit Rotwein auf alte Zeiten an.«
Leo überlegte eine Weile. Passte das wirklich nicht zusammen?
Oder war das einfach die zivilisierte Form der Barbarei,
so paradox das auch klingen mochte?
Friedrich starrte immer noch auf den Brief. »Vielleicht sollten
wir versuchen, diesen Schlimm zu finden.«
»Warum halten wir uns nicht erst mal an Sommerbier? Mit
so einem auffälligen Namen kommt man doch nicht weit.«
»Aber du hast doch gehört, was Mackensen gesagt hat! Der
heißt vielleicht längst ganz anders!«
»Einen Anhaltspunkt haben wir
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