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Schattenspieler (German Edition)

Schattenspieler (German Edition)

Titel: Schattenspieler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr. Michael Römling
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aussahen. Den Pressetermin müsst
ihr ohne Gardiner machen, dachte Sommerbier, während er
sein Gesicht betrachtete, das sich in der Fensterscheibe des
Busses spiegelte. Gardiner wird sich nämlich demnächst wieder
häuten.
    Es war ein merkwürdiges Gefühl gewesen, in der britischen
Uniform durch die Stadt zu laufen. Die meisten Leute hatten
ihm verstohlen hinterhergeblickt. Er war auf die Gewinnerseite
gewechselt. Aber hatte er jemals woanders gestanden als
auf der Gewinnerseite?
    Die Maskerade war für ihn ein amüsanter Zeitvertreib.
Dank seiner aus London stammenden Großmutter, bei der
er als Kind drei Jahre gewohnt hatte, war seine englische Aussprache
so gut wie perfekt. Es erregte ihn, Gardiners Rolle zu
spielen und den anderen Offizieren beim abendlichen Umtrunk
ausgedachte Geschichten über ein Leben aufzutischen,
das er sich für ein paar Wochen von einem Toten geborgt hatte.
Es war ein Spiel mit dem Feuer, von dem er einfach nicht lassen
konnte. Glücklicherweise kannte keiner der Soldaten den
echten Gardiner, aber ab und zu wurde er nach möglichen gemeinsamen
Bekannten gefragt. Dann behauptete er meistens,
die Betreffenden schon lange nicht mehr gesehen zu haben.
Nebenbei erfand er sich eine Frau und drei Kinder, die nun in
seinem Häuschen in Wandsworth auf ihn warteten. Ob Gardiner
eine Familie gehabt hatte, wusste er nicht. Fotos hatte er
jedenfalls nicht dabeigehabt. Und einen Ehering hatte der tote
Pilot auch nicht getragen.
    Die Sowjets hatten Sommerbier und die anderen mit einem
Bus bis Magdeburg gefahren, wo die kleine Gruppe in bester
Feierlaune in einem Pionierboot über die Elbe gebracht
wurde. Auf der anderen Seite hatten britische und amerikanische
Offiziere ein kleines Komitee gebildet, das sie mit Champagner
empfangen hatte. Dann waren sie in einen anderen
Bus umgestiegen. Und jetzt rollten sie durch das verwüstete
Braunschweig, um einen Zwischenhalt einzulegen.
    Mit einem Rasseln erstarb der Motor. Nach und nach
standen die Offiziere auf und streckten sich. Einige mussten
geweckt werden, hier und da wurde geblinzelt und gegähnt.
Dann ergoss sich die kleine Gruppe plaudernd auf die Straße.
Die Vorfreude auf die Heimkehr stand allen ins Gesicht geschrieben.
    Ein Major der amerikanischen Luftwaffe nahm sie in Empfang
und stellte einen Imbiss in Aussicht. Offenbar wollte er es
aber nicht bei der kurzen Ankündigung bewenden lassen, sondern
fühlte sich bemüßigt, noch ein paar launige Worte über
Braunschweig hinzuzufügen. Während der Major schwadronierte,
ließ Sommerbier seinen Blick über den kleinen Platz
schweifen, an dessen Rand der Bus gehalten hatte. Ein Häusergerippe
reihte sich an das andere, im Hintergrund waren die
ausgebrannten Türme einer Kirche zu sehen. Das Bild der Verwüstung
spiegelte sich trübe in einem brackigen Löschteich in
der Mitte des Platzes. Menschen waren kaum unterwegs.
    »Was interessiert mich dieses Braunschwein?«, raunte Squadron
Leader Henry Tibbott ihm zu, ein Witzbold, der ihm
schon in Potsdam gehörig auf die Nerven gegangen war. »Essen
können wir auch im Bus. Ich habe dieses Land doch nicht vier
Jahre lang bombardiert, um jetzt hier Urlaub zu machen.«
    Dann hättest du dich eben nicht abschießen lassen dürfen,
dachte Sommerbier, sagte aber nichts. Der Major hatte seine
Ausführungen endlich abgeschlossen, und ein erleichtertes
Raunen ging durch die Gruppe, die sich schwatzend wieder
in Bewegung setzte. Zwischen den ineinander übergehenden
Schutthaufen, die den Platz säumten, stand tatsächlich noch
ein Haus, das die Bomben verschont hatten. »Gastwirtschaft
Klock« war auf einem emaillierten Schild über dem Eingang
zu lesen. Das sah nach deutscher Hausmannskost aus.
    Der Major stellte sich neben der offenen Tür auf und winkte
sie gönnerhaft hinein. Als Sommerbier eintreten wollte, legte
der Amerikaner ihm die Hand auf die Schulter.
    »Flight Lieutenant Gardiner?«
    »Ja, Sir?«
    Der Major lächelte süßlich. »Es wartet eine Überraschung
auf Sie.«
    Sommerbiers Verstand schaltete sofort auf Alarm. Jemand
wartete auf ihn. Ein Freund des echten Gardiner wahrscheinlich.
Das konnte eng werden.
    Er zog eine Augenbraue hoch und gab sich lässig. »Eine
Überraschung? Meine letzte Überraschung war eine deutsche
Flakgranate. Ich hoffe, Sie haben Angenehmeres zu bieten.«
    Der Major beugte sich vor und setzte ein anzügliches Grinsen
auf.
    »Ich denke, diese Granate wird Ihnen besser gefallen«,
raunte er.
    Also eine Frau. Ruhig

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