Schattenspieler (German Edition)
eine kleine Metallklappe
befestigt. Darüber hing ein Blechschild mit einem
verschmitzt lächelnden Schimpansen mit riesigen Segelohren,
der mit beiden Zeigefingern auf einen eingravierten Schriftzug
wies: »Mensch füttre hier! Das hol ich mir und danke dir.«
Bernhard nahm Marlenes Hand und führte sie zu dem
Schild. Sie betastete das Schimpansengesicht und strahlte.
»Ein Affe«, sagte sie.
»Das war die Theorie«, sagte Bernhard. »Und jetzt die Praxis.«
Damit verschwand er in dem unbeschädigten Flügel des Affenhauses.
Nach wenigen Augenblicken kam er zurück. Leo
traute seinen Augen kaum: Auf dem Arm trug Bernhard einen
kleinen Orang-Utan, der sich mit seinen langen Armen an sein
Hemd klammerte.
»Darf ich vorstellen: Leni.«
Marlene streckte die Hand nach dem Affenmädchen aus,
das sofort danach griff.
»Nimm sie ruhig«, sagte Bernhard, löste den anderen Arm
des Orang-Utans mit geübtem Handgriff von seinem Hemd
und legte ihn Marlene um den Hals. Leni hing jetzt an ihr
wie ein vorn aufgesetzter Rucksack. Marlene kicherte, als sie
versuchte, an ihr hochzuklettern.
»Hast du sie aufgezogen?«, fragte sie.
»Ich bin dabei«, antwortete Bernhard. »Wie gesagt, das ist
mein Beruf. Und mein Zoo. Seit sechs Jahren arbeite ich hier.«
»Bist du gar nicht im Krieg gewesen?«, fragte Friedrich.
»Ich bin seit zwölf Jahren im Krieg«, sagte Bernhard. »Zuerst
habe ich dagegen gekämpft, dass mein Land in die Hände von
Wahnsinnigen fällt. Dann im Konzentrationslager Dachau um
mein Leben. Anschließend dafür, dass der Zoo trotz Bomben
und Futtermangel nicht untergeht. Und jetzt dagegen, dass
meine Leute die gleichen Fehler machen wie vorher die Nazis.«
»Dachau«, sagte Leo leise. Einer der Orte, deren Namen
schmeckten wie scharfes, kaltes Metall.
»Ja, Dachau. Aber ich habe Glück gehabt. Sie haben mich
entlassen. Einfach so. Manchmal haben sie das gemacht, vielleicht
um unberechenbar zu bleiben. Vielleicht auch, weil sie
mich hier brauchen konnten, die anderen waren ja fast alle
eingezogen. Und dann haben sie offenbar vergessen, mich
wieder abzuholen.«
Leni hatte ihre Kletterversuche aufgegeben und wuschelte
Marlene mit ihrer schmalen, schwarzen, gummiartigen Hand
durch die Haare. Marlene lachte und Leni verzog die Lippen
zu einer Art Grinsen.
»Sie sucht nach Läusen«, sagte Bernhard.
»Ich habe keine«, kicherte Marlene.
»Dann gib ihr das hier«, schlug Bernhard vor und fischte
einen kleinen Zweig mit länglichen grünen Blättern aus seiner
Hosentasche. Leni versuchte sofort, danach zu grapschen,
aber Bernhard zog die Hand weg und gab den Zweig Marlene,
die ihn hinter ihrem Rücken verschwinden ließ.
»Wollen wir zusammen die Elefanten füttern?«, fragte Bernhard.
»Also, den Elefanten. Ist nur noch einer übrig.«
»Ja gerne«, strahlte Marlene.
Ohne ein weiteres Wort legte Bernhard ihre Hand an den
einen Holm der Schubkarre und griff selbst nach dem anderen.
Im Gleichschritt gingen sie davon. Bernhard gab mit der
Schubkarre die Richtung vor, und Marlene trug den Affen auf
der Schulter, als hätte sie ihn selbst großgezogen.
»Ein Lied für den Weg?«, fragte Bernhard, während sie sich
entfernten.
»Warum nicht?«, sagte Marlene fröhlich.
»Kennst du Völker, hört die Signale? «
Friedrich verdrehte die Augen. »Ach du Scheiße. Wenn wir
sie wieder abholen, ist sie Kommunistin.«
Leo lachte. »Lass uns an die Arbeit gehen.«
Friedrich nickte. »Und wenn schon«, sagte er fast zu sich
selbst. »Besser als das, was ihr Vater war.«
Keine halbe Stunde später waren sie wieder oben in Wilhelms
Wohnung. Der Papierberg lag immer noch so auf dem
Boden, wie sie ihn dort zurückgelassen hatten.
Sie wühlten und blätterten, ohne den geringsten Hinweis
auf Sommerbier zu finden. Leo verlor jedes Zeitgefühl und
irgendwann auch die Lust. Er ließ seinen Blick über die Buchrücken
streifen. Ein Kunstband reihte sich an den anderen. Er
hätte die Bibliothek gern mitgenommen, um sie vor den Plünderern
zu schützen, die sich früher oder später sicherlich wieder
über die Wohnung hermachen würden. Vielleicht würden
hier ja auch demnächst Leute einquartiert, Ausgebombte oder
Flüchtlinge. Wer wusste, was die mit den Büchern anstellen
würden? Wenn sie nichts damit anfangen konnten, warfen sie
vielleicht die ganze Bibliothek aus dem Fenster, verscherbelten
sie für ein paar Pfund Speck oder Butter. Andererseits: Die
Bücher aus dieser Wohnung zu entfernen, wäre so etwas wie
ein
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