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Schattensturm

Schattensturm

Titel: Schattensturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Saumweber
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einflößen, weshalb sie für Fahrten in freundlichen Gewässern stets abgenommen wurden. Hier jedoch, in dieser wilden Marschlandschaft, schien es nur folgerichtig, das Boot damit zu schmücken.
    Der braungrüne Strom der Süderelbe floss träge vor sich hin. Das Niedrigwasser hatte breite Wattstreifen an den Ufern freigelegt, in denen Silberreiher und Heringsmöwen mit ihren langen Schnäbeln nach Würmern und Schnecken suchten. Immer wieder durchquerten sie Nebelbänke, in denen die Laute von Krähen und Schwalben nur noch dumpf und abgeschwächt zu ihnen drangen und das Plätschern der Ruder unnatürlich laut erschien.
    Hier in Midgard, wo die Elbe noch frei und von Menschen unbeeinflusst floss, waren die Elbmarschen ein Chaos. Veronika versuchte mitzuzählen, wie oft sich Altwässer und Seitenarme von der Süderelbe abspalteten oder sich wieder mit ihr vereinigten, gab es aber schon nach kurzer Zeit wieder auf. Dennoch war deutlich zu erkennen, bei welchem der Arme es sich um die Norderelbe handelte. Am Zusammenfluss der beiden Hauptströme vermischte sich das braungrüne Wasser der Süderelbe mit der öligschimmernden, brackigschwarzen Brühe der Norderelbe. Der Ruderschlag geriet aus dem Rhythmus, als die Männer den Nordarm hinaufstarrten, wo düstergraue Nebelschleier über dem Wasser hingen.
Schattennebel
, erinnerte sich Veronika an ein Gespräch mit Wolfgang. Unwillig, sich Sorgen zu machen, schob sie den Gedanken zur Seite. »Kommt schon, Männer, wir wollen Norwegen noch in
diesem
Jahr erreichen!«, erklärte sie, ihr Tonfall schnippischer, als sie sich fühlte. Håkon griff ihre Aufforderung sogleich auf und trieb die Männer mit scharfen Kommandos zur Arbeit an. Bald hoben und senkten sich die Riemen wieder gleichmäßig und trieben die
Storm
zügig voran.
    Als am späten Vormittag die Flut das Wasser langsam steigen ließ, zog sich der Fluss durch dichten, dunkelgrünen Eichenwald. Die Inseln, die den Strom hier in Seiten- und Nebenarme aufspalteten, waren weniger sumpfig als im Hamburger Gebiet, sondern mit Weiden und Pappeln und grünem Buschwerk bewachsen. Um die größeren dieser Inseln steuerte Håkon misstrauisch herum, wohl wissend, dass die mit Schilf und Röhricht bewachsenen Uferböschungen hervorragende Verstecke für Hinterhalte boten. Als die Flut stärker wurde, trieb er die Besatzung zu größerer Anstrengung, bis schließlich auch die letzte Unterhaltung an Bord verstummt war und die Männer ihre Puste für die Arbeit sparten.
    Nach mehreren Stunden Fahrt erreichten sie schließlich offenes Weideland. Der Wind frischte auf, doch Håkon entschied sich nach ein paar Minuten konzentrierten Nachdenkens gegen das Segel. Enttäuscht ruderte die Besatzung weiter. In der Ferne sahen sie reetgedeckte Hallen und Ställe. An den wattbedeckten Uferzonen waren hier und da, halb vom steigenden Elbewasser verdeckt, Fischreusen in den Fluss versenkt. Einmal schlug ein Hund mit dumpfem Gebell an, als sie vorüberfuhren, worauf ein Schäfer hastig seine Tiere davontrieb. Ein andermal sahen sie einen Jäger mit einem Speer auf der Südseite des Stroms, der sie mit unverhohlenem Misstrauen beobachtete.
    Schließlich erreichten sie die Elbmündung, in der sie die ersten Fischkähne dümpeln sahen. Der Wind frischte noch einmal auf, mit ihm kamen die ersten größeren Wellen. Zur Freude der Besatzung entschied sich der Kapitän schließlich dazu, die Riemen einzuholen und dafür das rotweiß gestreifte Segel setzen zu lassen. Was folgte, waren fünf Minuten hastige Aktivität, dann pflügte die
Storm
mit knatterndem Segel durch Wind und Wellen die Nordseeküste entlang nach Norden.
    Mit dem letzten Licht des Tages erreichten sie eine hinter einem grasbewachsenen Deich versteckte Fischersiedlung. Håkon ließ die Drachenköpfe von den Steven nehmen und das Segel einholen, dann verlangte er seinen Ruderern eine letzte Anstrengung ab, sie gegen die einsetzende Ebbe so nahe wie möglich ans Ufer zu bringen. Dann sprangen die Männer von Bord und zogen die
Storm
die letzten Meter an den Deich. Sie waren längst bemerkt worden, so dass sie bald vom germanischen Herrn der Siedlung begrüßt wurden. Es war ein Angel namens Æthelfried, der ihnen das Dorf als Büsum vorstellte und sie in seine Halle einlud. Sie aßen dort ein einfaches Mahl, nach dem sich die Männer vom Rudern erschöpft sogleich ihre Lager auf dem Boden aufschlugen, zwischen den keltischen Leibeigenen und germanischen Dienern Æthelfrieds.

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