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Schattensturm

Schattensturm

Titel: Schattensturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Saumweber
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konnte, worum es bei den Liedern ging, doch sie entschied sich dazu, sich davon nicht stören zu lassen. Genauso ignorierte sie die vorsichtigen, schüchternen Blicke, mit der sie die Männer bedachten, wenn wieder eine besonders schweinische Textzeile gesungen wurde. Sie stellten bald fest, dass ihre Herrin sie entweder nicht verstand oder es ihr egal war, und verlorenschließlich sämtliche Hemmungen. Veronika lehnte sich zurück, schloss die Augen, versuchte, sich das ständige Auf und Ab der Wellen nicht allzu sehr auf den Magen schlagen zu lassen, und hoffte, dass es niemandem auffiel, wenn sie aufgrund der Lieder rot anlief.
    Nachdem sie die Nacht in Skagen verbracht hatten, einem Fischerdorf an der äußersten nordöstlichen Landspitze Jütlands, verließen sie am nächsten Tag die Sichtweite des Festlandes und überquerten den Kattegat in Richtung Schweden. Der Wind stand noch immer stark hinter ihnen, so dass sie nur wenige Stunden für die Überfahrt benötigten, ständig verfolgt von einem Schwarm Möwen und einem einzelnen, etwa anderthalb Meter langen Delfin, den Håkon als Schweinswal identifizierte und vorschlug, ihn zu fangen und am nächsten Abend zu braten. Veronika beobachtete das Tier und spürte, dass sie es nicht übers Herz brachte, den Wal töten zu lassen. Zu sehr erinnerte er sie an den Flipper aus den Fernsehsendungen ihrer Kindheit.
    Sie sichteten am frühen Nachmittag die schwedische Küste, eine zerklüftete Felsenlandschaft mit unzähligen vorgelagerten Schäreninseln und dicht mit dunkelgrünem Nadelwald bewachsen. Dazwischen dümpelten kleine Fischkähne mit beigen oder braunen Segeln auf den Wellen. Håkon steuerte sie auf einen Kurs, der parallel zu den Inseln nach Norden führte, worauf die
Storm
wieder seitlich zu den Wellen fuhr und übel zu rollen begann. Veronika spürte sofort wieder die Seekrankheit, die sie seit dem Sturm nicht mehr vollständig verlassen hatte, und verbrachte einen Großteil des restlichen Tages damit, über die Bordwand hinweg die Fische zu füttern. Die Nacht verbrachten sie in einer schwedischen Siedlung namens Hunnebostrand, bevor sie die letzte Etappe nach Oslo in Angriff nahmen.
    Die Midgard-Version Oslos wirkte nach all den Monaten in der Innenwelt fast schon wie eine Großstadt. Die Stadt saß am Nordufer in der Kurve eines breiten Fjordes im Vorfeld einer sanften Hügellandschaft, die auf Veronika ganz und gar unnorwegischwirkte. Im von einer großen Landzunge geschützten Hafenbecken lagen mindestens fünfzig Boote, von kleinen Fischerkähnen angefangen bis zu großen Langschiffen mit bis zu vierzig Riemen zu jeder Seite. Die
Storm
als relativ kleine
karvi
wurde kaum eines zweiten Blickes gewürdigt, weder von den bewaffneten Hafenwächtern noch von den Menschen, die auf einem großen Marktplatz direkt am Hafen arbeiteten.
    Es dauerte bis zum nächsten Morgen, bevor Veronika zu einem Gespräch mit dem Osloer Fürsten kam. Bis dahin erkundete sie zusammen mit Gunnar den Markt und die zahllosen schmutzigen Gassen der Stadt, in der der Unterschied zwischen reich und arm so deutlich zu Tage trat wie nirgendwo anders in Midgard. Norwegische Fürsten besaßen opulent geschmückte Langhäuser, die zu mehreren von kleinen Wällen eingeschlossen waren und von Kriegern bewacht wurden, während keltische und slawische Leibeigene in schiefen, schimmligen Hütten in Hafennähe hausten und teilweise keine andere Aufgabe hatten, als um Almosen zu betteln.
    Zu dem Gespräch mit Fürst Harald von Oslo nahm sie Gunnar und Håkon mit. Er empfing sie in einem Gebäude, das einer norwegischen Stabkirche ähnlicher sah als einem gewöhnlichem Langhaus und das ihr als Thinghaus der Region vorgestellt wurde. Der Fürst selbst war jung und arrogant, das typische Beispiel eines Mannes, der zu schnell zu viel erreicht hatte und der Veronika unweigerlich an Leutnant Fuchs aus ihrer Zeit auf dem Kosovo erinnerte. Schließlich erklärte er sich in seiner Großzügigkeit einverstanden, ihre Besatzung für den Winter in seiner Stadt einzuquartieren und ihr selbst ein paar Pferde und Marschverpflegung zur Verfügung zu stellen. Dafür verlangte er einen geradezu exorbitanten Preis, den ihre Männer als Frondienst abzuleisten hätten oder der alternativ in Gold und Silber zu erbringen war. Veronika sah keine Möglichkeit, ihn zu bezahlen, und unterrichtete ihre Krieger noch am selben Abend über ihr Schicksal. Sie versprach, sie auszulösen, sobald sie die Gelegenheit dazu bekam,

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