Schattensturm
umzubringen, aber dafür geht es ihr gut.« Er wandte sich zu Bauer. »Das ist auch der Grund, warum ich Sie brauche. Verständigen Sie Ihre Männer, ich habe den Verdacht, dass der Mann nach Hamburg geflohen ist. Vielleicht können Sie mir bei der Suche helfen.«
Bauer nickte. »Haben Sie eine Beschreibung?«
»Ein durchschnittlich großer Mann, athletische Figur, starkes Kinn, ein Gesicht voller Narben, die aussehen wie irgendwelche mystischen Runen. Das ist unser Hauptverdächtiger. Dann –«
»Er ist nicht mehr in Hamburg.«
Bauer und Wolfgang sahen beide verdattert zu Michelina. »Wo her wissen
Sie
das?«, fragte Wolfgang entgeistert.
»Vor drei oder vier Stunden war er offenbar bereits über die dänische Grenze. Und
er
wollte Veronika ermorden?«
»Vielleicht«, meinte Wolfgang, »aber woher kennen Sie ihn? Und warum wissen Sie, wo er ist?« Er war so verdutzt über die plötzliche Wendung des Gesprächs, dass sein Misstrauen bis jetzt brauchte, um sich zu Wort zu melden. Seine rechte Hand, mittlerweileunter dem Tisch, wanderte langsam zum Griff des Dolchs an seinem Gürtel.
»Eine lange Geschichte. Um sie kurzzufassen, ich kenne ihn gar nicht. Ein Kollege von mir, der noch immer für die Agentur arbeitet, ist ihm in Mogadischu begegnet, wo er sich über illegale Menschentransporte nach Hamburg erkundigt hat. Sie haben dort zusammengearbeitet und sind dann gemeinsam hierhergekommen, um herauszufinden, was mit den Illegalen passiert. Der Mann hat meinen Kollegen angerufen, um ihm zu sagen, dass er überraschend das Land verlassen musste. Deshalb weiß ich davon.«
Wolfgang rieb sich die Schläfen, um die verwirrten Beziehungsstränge zu verarbeiten, die dieses Gespräch bisher offenbart hatte. »Das ist eine verdammt kleine Welt, was?«, murmelte er dabei.
»Sie sagen es.«
»Und was hat es nun mit diesen Illegalen auf sich?« Es klang ganz so, als ob die ehemalige Inquisitorin dem Rätsel auf der Spur war, mit dem sich auch Fürst Herwarth beschäftigte.
»Wir wissen noch nichts Genaues«, erwiderte Michelina. »Es ist schwierig, etwas herauszufinden. Vielleicht haben Sie gehört, dass der Bischof vor zwei Monaten ums Leben gekommen ist?«
Wolfgang schüttelte den Kopf. Er hatte vor zwei Monaten noch
ganz
andere Sorgen gehabt als einen gestorbenen deutschen Bischof. Eine Festung zum Beispiel. Bauer zuckte nur mit den Schultern. Der ehemalige Kompaniefeldwebel verbarg sein Unwissen gut, doch Wolfgang wusste, wie wenig der Mann von ihrem Gespräch verstand.
»Nun, er ist nicht einfach so gestorben. Mein Kollege hat herausgefunden, dass der Bischof vergiftet wurde. Sein engster Berater ist zwei Tage danach bei einem Autounfall umgekommen. Der andere Beteiligte hat laut Polizei Fahrerflucht begangen. Mein Kollege vermutet ebenfalls Mord. Zudem ist offenbar einer seiner Agenten spurlos verschwunden. Offenbar hat irgendeine Hamburger Partei der Kirche den Krieg erklärt. Wir vermuten einen Zusammenhang mit den Menschentransporten.«
»Hmmmmm«, brummte Wolfgang. Er überlegte sich, was er ihr sagen konnte und wollte. Einerseits musste es nicht unbedingt stimmen, dass sie der Inquisition den Rücken gekehrt hatte. Auf der anderen Seite hatte sie Gudrun auf dem Kosovo das Leben gerettet, als sich ihr Zugfeldwebel plötzlich als Schatten entpuppt hatte. Das musste man anerkennen. »Also gut«, erklärte er. »Ich habe heute davon erfahren, dass die Schatten Hamburg mehr oder weniger hermetisch abgeriegelt haben, was Übernatürliche angeht. Ich bin heute selbst einem Rudel Rattenmenschen begegnet, die als Polizisten verkleidet die Hamburger Touristenfähren absuchen. Das alles klingt so, als ob sie etwas Großes vorhätten. Etwas
richtig
Großes.«
»Etwas, wobei sie keine Zuschauer haben wollen«, schloss Michelina.
Wolfgang nickte.
Michelina starrte nachdenklich nach draußen, wo sich Leuchtreklame und Ampellichter auf der regennassen Straße spiegelten. Dann fragte sie: »Wollen wir uns helfen?«
VERONIKA
Harburg bei Hamburg, Deutschland
Freitag, 10. September 1999
Die Innenwelt
Nachdem sie abgelegt hatten, verwandelte sich Håkon wieder in sein gewohntes Selbst. Geschickt steuerte er das Boot in die Mitte der Süderelbe und dirigierte mit grimmigen Kommandos den Ruderschlag der Besatzung. Sobald die Harburg hinter ihnen verschwunden war, orderte er an, die beiden fein geschnitzten und bunt bemalten Drachenköpfe auf die Steven zu setzen. Sie sollten fremden Geistern Angst
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