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Schattentag: Kriminalroman (German Edition)

Schattentag: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Schattentag: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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Hand und beginnt, um mich herumzudribbeln.
    Später fahre ich mit dem Fahrrad nach Hause und denke, dass der Mitschüler, der in eine Schlucht gestürzt ist, eine Weile nicht mehr in der Pause mit uns Fußball spielen wird.
    Das Hotel, in dem Mara arbeitet, ist ein senkrecht stehendes Rechteck, dessen Fassade bröckelt. Im höchstgelegenen Stockwerk gibt es einen breiten Balkon, den Mara mag, weil sie von ihm aus alles überblicken kann. Das Hotel steht am Rand der Insel und ist so grau wie die Klippen dort.
    Der Junge, der in eine Schlucht gestürzt war, konnte nach seinem Unfall nicht mehr in die Schule gehen. Er war querschnittgelähmt und nicht in der Lage, sich zu artikulieren. Das hörte ich, als in den Pausen über ihn gesprochen wurde. Es wurde in den ersten Wochen nach den Herbstferien viel über ihn gesprochen. Ich hörte jedes Wort, ich sog die Worte in mich auf.
    Ich fände es schön, die Insel würde nur aus Maras Holzhaus bestehen, aus dem grünen Hügel, aus unserem Bett und Maras rosarotem Rucksack und dem gelben Fahrrad und dem Rauschen des Meeres, und aus Sonne und Wärme und aus kalten Nächten und ab und zu einem Hagelschauer, der mich zum Lachen bringt.
    Am Waldrand liegt ein kleiner Löwe, rekelt sich in der Sonne und fühlt sich wohl:
    Mara ist nicht da, aber ihre Stimme ist in meinem Kopf, hell und klar, ich höre, wie sie die Worte in die Länge zieht, wie sie am Ende des Satzes, obwohl sie eine Aussage macht, eine Frage zu stellen scheint.
    Auf einer Kostümparty habe ich ihn wiedergesehen. Er saß in einem Rollstuhl und war als Cowboy verkleidet. Ich konnte den Blick nicht von ihm abwenden. Eine Mitschülerin war die ganze Zeit bei ihm, viele haben ihn angesprochen und ihm auf die Schulter geklopft. Ich sah, dass er sich freute. Er verstand das meiste, und er konnte auch schon wieder ein wenig sprechen, langsam und undeutlich. Ich näherte mich, bis ich leise seine Stimme hörte.
    Maras Hand, die über meinen Kopf streicht.
    »Hast du die ganze Zeit auf mich gewartet?«, fragt sie, und ich nicke.

4
    Ein Feuerwerk auf der Insel:
    Ein Feuerwerk auf der Insel, über dem Wasser. Mara freut sich darauf und möchte, dass ich mitkomme, obwohl ich lieber in Maras Holzhaus bleiben würde. Wir laufen den Hügel hinunter, den Steg entlang, am Rand der Insel, auf den Lärm, auf die Klippen, auf das Wasser zu, über dem die kleinen Raketen explodieren sollen. Mara hat mich in einen Abendanzug gezwängt, führt mich wie einen Hund und redet auf mich ein. Sie ist aufgedreht, sie ist nicht bei mir, was sie sagt, verhallt, bevor ich die Bedeutung ihrer Worte greifen kann.
    Der Gedanke, dass Mara irgendwann nicht zurückkehrt.
    Stimmen, Lachen, klingende Gläser. Wir stehen auf weichem feuchtem Sand. Es ist ein warmer Abend, dunkel, Menschen, fremd, ich kann ihre Schattenrisse nicht sehen, obwohl überall grüne, rote, gelbe, blaue Lichter brennen. Das hat Mara mir gesagt, die mich an der Hand nimmt und anderen vorstellt, die mir von Zeit zu Zeit zuflüstert, ich solle auch mal etwas sagen, die lacht und sich auf das Feuerwerk freut und nicht zu bemerken scheint, wie die anderen sich nähern, wie sie ihre Worte wägen, wie sie in ihr Lachen einstimmen, um Mara zu gefallen. Oder ist es Maras Spiel?
    Irgendwann sagt Mara: »Komm!«
    Sie zieht mich mit, so plötzlich, dass ich stolpere, ich muss ein lächerliches Bild abgeben, als ich versuche, mich aufzurichten, Mara lacht, andere lachen, vielleicht über mich, ich spüre den nassen Sand an meinen Fingern, und Mara ruft, dass sie mir etwas zeigen möchte. Sie schiebt mich durch eine Tür, eine Drehtür, die geölt werden müsste. Ich bin außer Atem, Mara zerrt mich weiter über eine Treppe, der Geruch von Verfall, mein Bein schlägt gegen die Stufen. Mara reißt mich nach oben, wenn ich strauchele.
    »Jetzt komm schon, es fängt gleich an!«, sagt sie. Dann stehen wir wieder im Freien, ich höre in einiger Entfernung das Meer und das nervöse Stimmengewirr der Menschen. Mara lässt mich los, ich taste nach etwas, an dem ich mich festhalten kann. »Da ist ein Geländer«, sagt Mara ungeduldig und führt meine Hand. Ich spüre kaltes Metall.
    »Wo sind wir?«
    »Im Hotel, auf dem Balkon«, sagt Mara. »Von hier können wir am besten sehen. Das Feuerwerk fängt gleich an.«
    Ich taste nach Maras Hand, aber ich kann sie nicht greifen. Weicht sie mir aus? Lächelt sie?
    »Schau nur!«, sagt Mara. Ich höre die Explosionen, begleitet von Geschrei, das gedämpft

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