Schattentag: Kriminalroman (German Edition)
Würfel aus Glas ist gerade eingerichtet worden. Ich sitze im Zentrum des Würfels und höre meinem Kompagnon zu, der auf der Kante meines Schreibtisches hockt und erläutert, weshalb unsere Firma ein Erfolg sein wird.
Das Klingeln des Telefons unterbricht ihn. Ich nehme den Hörer ab und höre Veras Stimme. »Das Fruchtwasser läuft«, sagt sie.
»Alles Gute!«, ruft mein Kompagnon, während ich zu meinem Wagen renne.
Im Krankenhaus sind die Kittel der Ärzte und Hebammen weiß und blau. Vera liegt auf einem weißen Bett. Sie bemüht sich um ein uneingeschränktes Lächeln. Sie ist an einen weißen Apparat angeschlossen, der zackige Linien zeichnet. Die Wehen seien schon am Muttermund, sagt eine Schwester. Wir lassen es kommen, sagt ein Arzt. Vera schreit. Der Arzt bietet ihr verschiedene Positionen an. Irgendwann steht Vera breitbeinig an die Wand gelehnt. Ich halte sie an den Armen. Sie schreit mit einer Stimme, die ich nicht kenne.
»Es kommt nicht«, sagt die Hebamme. Sie trägt gelbe Handschuhe.
Unter Vera bildet sich eine Lache aus rötlichweißer Flüssigkeit. Es kommt nicht, sagt die Hebamme noch einmal. Kaiserschnitt vorbereiten, sagt der Arzt. Vera schreit, eine Schwester teilt mit, dass der Anästhesist nicht greifbar ist. Machen Sie ihn greifbar, sagt der Arzt.
Nein, es kommt nicht, sagt die Hebamme, die noch immer zwischen Veras Beinen kniet.
Hinlegen, ich mach das jetzt, sagt der Arzt und verlässt den Kreißsaal. Keine Angst, sagt die Hebamme, das wird. Der OP ist fertig, sagt der Arzt und ist wieder weg. Ein Mann kommt mit einem Formular und erzählt der schreienden Vera etwas über Narkose, während zwei Schwestern sie aus dem Zimmer rollen.
Ich bleibe allein zurück. An den Wänden hängen Grußkarten glücklicher Eltern. Es ist bald vorbei, sagt die Hebamme, die plötzlich hinter mir steht. Ich würde sie gerne etwas fragen, aber ich nicke nur und betrachte die Karten an der Wand.
Ich höre, wie sie die Schiebetür auf- und zuschiebt. Dann eine Weile nichts. Ich lasse mich auf einen Stuhl sinken. Schritte eilig laufender Menschen. Dann fällt mir auf, dass Vera nicht mehr schreit. Wo ist eigentlich der Ehemann, fragt jemand. Ein Schrei, ein lang gezogener Schrei. Eine Weile nichts. Eine Tür wird geöffnet. Schritte. Eine weibliche Stimme neben mir.
Ihre Frau wird noch genäht, sagt die Hebamme.
Ich hebe den Kopf. Sie lächelt. Sie legt einen schreienden Säugling in meine Arme.
Wärme ist wichtig, sagt sie. Legen Sie sie auf Ihre Brust. Wie soll sie denn heißen?
Sandra, sage ich.
Die Hebamme notiert den Namen, nickt und geht.
Ich hebe Sandra an meine Brust. Sie scheint zu schlafen. Ich versuche, mich nicht zu bewegen. Ein Schmerz hinter meinen Augen.
Nach einer Weile wird die Schiebetür aufgeschoben, die Schwestern rollen Vera herein. Veras Kopf liegt zur Seite geneigt.
Ich stehe auf und lege Sandra in Veras linken Arm, der rechte ist noch an einen Schlauch angeschlossen. Die Schwestern beglückwünschen uns. Der Narkosearzt beglückwünscht uns. Dann sind wir allein. Ich lehne mich gegen die Schiebetür und bemerke endlich das Zittern meiner Beine.
Vera schließt die Augen.
Sandra hält sie geschlossen.
Ich löse meine Hand aus der Erstarrung, nehme die Kamera aus meiner Hosentasche und mache ein Foto.
Etwas, das lange vergessen war.
Eine Reise in einem blauen Bus.
»Sturm kommt auf«, sagt sie.
Ihre Haut ist kalt und weich. Ich stoße gegen die Flasche.
»Aufpassen, unser Wetteinsatz!«, sagt sie.
Die Flasche kippt. Das Meer rauscht.
»Hörst du?«
»Was denn?«
»Es fängt an.«
»Was fängt an?«
Sie richtet sich auf, nimmt meinen Kopf in beide Hände, biegt ihn, bis wir uns direkt in die Augen sehen, und sagt: »Der Sturm natürlich. Ich gewinne!«
Sie lacht dabei, sie lacht mich aus. Meine Freunde schlafen in ihren Schlafsäcken. Ein Windstoß löscht das Feuer. Das Mädchen löst sich von mir und rennt auf das Wasser zu. Der nächste Windstoß ist eine Sturmböe. Der Himmel ist schwarz und sternenklar.
Das Mädchen tanzt.
»Komm schon!«, ruft sie, und jetzt bin ich es, der lacht.
»Was ist denn hier los?«, murmelt einer meiner schlafenden Freunde, weil ihn etwas Hartes am Kopf trifft. Er sieht mich aus kleinen, müden Augen an. »Was ist das?!«, fragt er.
Ich lache.
Katastrophen liegen fern.
Es ist ein Hagelkorn aus wolkenlosem Himmel.
Mara und ich sitzen auf der Terrasse. Die Luft ist klar und kalt. Wasser sickert in den Rasen. Ich kaue
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