Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattentag: Kriminalroman (German Edition)

Schattentag: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Schattentag: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
Vom Netzwerk:
Löwe einem Elefanten, der ihm den Weg zu versperren scheint. Seine Reise sei hier zu Ende, sagt der Elefant, es sei denn, der Löwe erfülle seine neunte Aufgabe.
    »Und die wäre?«, fragt der Löwe.
    »Siehst du das nicht? Ich bin hier eingeklemmt«, sagt der Elefant, und erst jetzt bemerkt der Löwe, dass der Elefant zwischen zwei Baumstämmen feststeckt und sich im Bemühen, loszukommen, schon ganz wund gerieben hat. Der Löwe stemmt sich gegen den Elefanten, schubst, schiebt und schlägt, bis er auf die Idee kommt, einmal kräftig am Rüssel zu ziehen. Der Elefant schreit, und das spröde Holz der Stämme reißt ihm die Haut auf, aber dann ist er frei und macht erst mal einen Schritt vor und einen zurück, einen vor, einen zurück, um sich daran zu gewöhnen.
    »Danke, Löwe«, sagt er noch, bevor er auf die nächsten beiden Baumstämme zugeht, »danke, und allzeit gute Reise«, und der Löwe läuft federnd und guter Dinge tiefer in den Wald hinein.
    Eine Momentaufnahme. Sie könnte eine Ewigkeit dauern. Der Rollstuhlfahrer wedelt mit den Armen und lacht. Die anderen schweigen. Laura mit großen Augen. Viviana mit leicht geöffnetem Mund. Marlene ausdrucklos. »Dich kenn ich ja«, sagt der Rollstuhlfahrer. »Dich kenn ich doch.« Er sieht zu Laura auf und nickt heftig. »Ich kenn ihn.«
    Ich löse mich von der Wand. Ich spüre, dass ich mich fortbewege.
    »Mach’s gut, mein Schatz«, sagt Viviana leiser als sonst.
    Ich drehe mich nicht mehr um, aber ich bilde mir ein, Marlene prustend lachen zu hören.
    »Wir sind Fußballer, wir beide«, sagt die Stimme des Rollstuhlfahrers, während ich den dunklen weißen Gang entlanglaufe und dabei, wenn ich mich richtig erinnere,
    schreie und schreie und schreie, bis ich endlich die Gänsehaut spüre.
    Im Aufzug. Von elf abwärts. Bei null neu beginnen. Alles geht auf. Ich schwebe. Meine Augen sind geschlossen. Die Fahrt endet im Erdgeschoss. Es dauert ein, zwei Sekunden, bis sich automatisch die Tür öffnet. Ich mache einen Schritt nach vorn, hebe den Kopf und blicke in das Gesicht einer Frau, die ich kenne. Ich bin zu müde, um auszuweichen.
    Sie zuckt zusammen und macht einen Schritt von mir weg. Sie hat einen anderen erwartet. Wir stehen uns gegenüber. Ich verliere mich in ihren Augen, während sie mein Gesicht fixiert und versucht, nach einer Erinnerung zu greifen. Es wird nicht mehr lange dauern, bis sie mich erkennt.
    Eine unscheinbare Frau, die ein unscheinbares Mädchen gewesen ist. Schon damals ist sie mir nie aufgefallen, bis sie während des Kostümfests die ganze Zeit neben dem Jungen im Rollstuhl saß. Ihre Anwesenheit in diesem Hochhaus wirft einige Fragen auf, die ich nicht stelle. Ich beginne zu laufen. Ganz langsam. Ich spüre ihren Blick. Draußen regnet es, obwohl die Sonne scheint. Ich trete ins Freie und höre in meinem Rücken die Tür des Aufzuges, die sich wieder öffnet.

25
    Der beißende Geruch des verpufften Feuerwerks hängt in der Luft.
    Mara fährt auf einem gelben Fahrrad den grünen Hügel hinunter. Ich sehe ihr nach, bis der Nebel sie schluckt. Wir beide, der Polizist und ich, verharren eine Weile schweigend.
    »Kommen Sie, wir bringen das jetzt zu Ende«, sagt der Polizist schließlich.
    »Natürlich.«
    Wir laufen nebeneinander.
    Ich wende mich noch einmal um.
    »Keine Angst, der Nebel lichtet sich wieder«, sagt er.
    Ich nicke.
    »Es ist doch alles nur ein Bild in Ihren Gedanken.«
    Wir stehen am Rand der Klippen.
    »Versuchen Sie, ruhig zu atmen.«
    Der Abgrund ein Schattenriss.
    »Und zählen Sie langsam bis zehn.«
    Eins.
    »Bei elf beginnen Sie neu.«
    Zwei.
    »Nichts ist passiert.«
    Drei.
    »Nicht das Geringste.«
    Vier.
    »Sie wissen das.«
    Fünf.
    »Sie haben nachts wach gelegen.«
    Sechs.
    »Und am Tag geträumt.«
    Sieben.
    »Und in der Zwischenzeit etwas verpasst.«
    Acht.
    »Sie wissen nicht, was.«
    Neun.
    »Und was, ist nicht wichtig. Gute Reise.«
    Zehn.
    Er tippt mich an.
    Ich stürze von den Klippen in die Tiefe.
    Ich schreie.
    Ich öffne die Augen.
    Ich reiße sie weit auf.
    Die Welt ist in Ordnung.
    In meinen Ohren rauscht noch das Meer.
    In meinen Augen liegt schon der Löwe.
    Er liegt am Waldrand in der Sonne.
    Er rekelt sich und fühlt sich wohl, während ich …

26
    … laut lachend im flachen Wasser aufschlage.
    »Worüber lachst du?«
    »Hmmmmmmmmmmm?«
    Ich bin noch etwas benommen, aber ich spüre, wie sich die Realität Raum schafft. Was immer das ist. Mein Arm ist eingeschlafen und schmerzt ein

Weitere Kostenlose Bücher