Schattenwanderer
Kater?«
Alle senkten den Blick.
»Er ist tot, Garrett«, antwortete mir Ohm nach langem Schweigen.
»Wie konnte das geschehen?« Ich wollte einfach nicht an den Tod des Fährtenlesers unserer Einheit glauben.
»Dieses Wesen, was auch immer es gewesen sein mag, ist durch ihn hindurchgewabert und hat ihn getötet«, sagte Miralissa. »Frag mich nicht, wer diese Kreaturen waren und wie eine von ihnen Kater töten konnte. Ich weiß es nicht.«
»Kannst du reiten, Dieb?«, erkundigte sich Alistan nun und stand auf.
»Ja.«
»Wunderbar. Wir haben ohnehin schon einen Tag verloren. Wir müssen zur Straße zurück. Ohm, ist alles bereit?«
»Ja«, antwortete der Anführer der Wilden.
»Steh auf, Garrett, wir schicken Kater auf seine letzte Reise.«
Sie hatten Kater bereits begraben, während ich noch ohnmächtig gewesen war. Er hatte seine letzte Ruhestätte unter einer jungen Eberesche mit silbriger Rinde gefunden, die ihre Zweige über den großen Grabstein spreizte. In den Stein hatte jemand eingeritzt: Kater. Bruder der Wilden Herzen. ? – 112 3 Z . T.
»Leb wohl, Bruder«, sagte Ohm für alle.
»Schlafe ruhig«, flüsterte Miralissa, während sie mit der Hand über das Grab fuhr.
Kli-Kli blinzelte unablässig und versuchte, die Tränen zurückzuhalten. Arnch ballte immer wieder hilflos die Fäuste. Deler und Hallas, beide finster und mürrisch, ähnelten sich wie Brüder.
Lämpler stimmte das Lied des Abschieds an, jenes Lied, das die Wilden Herzen an den Gräbern und über den Körpern ihrer Brüder singen, unabhängig davon, ob diese im Kampf gefallen oder an Altersschwäche gestorben sind. Ein seltsames Lied, das gar nicht zu Soldaten passen wollte. Denn wie können Soldaten ihren Feinden verzeihen?
Aber dieses Lied war so alt wie die Wilden Herzen und der Einsame Riese, es war bereits in grauer Vorzeit erklungen. Und niemand wusste mehr zu sagen, wer es zum ersten Mal gesungen hatte, um damit die Soldaten auf die letzte Reise zu schicken. Ich, Kli-Kli, Alistan sowie Miralissa und die beiden anderen Elfen lauschten diesem seltsamen und dabei so bitter-beklemmenden, so sehr entrückenden Lied, in das nach der ersten Strophe alle Wilden Herzen einstimmten.
Zur Ruhe legen sollte ich mich,
Denn ich bin tot,
Die kalte Gruft wärmt mit Moder,
Die Rüstung riecht nach Rost.
Winde wehen, die ich nicht kenne,
Die nie die meinen waren,
Auf mir liegt das tote Banner,
Wie ein Lachen ohne Lachen.
Komm, mein Feind!, sage ich,
Wie du siehst, bin ich tot.
Du hast nichts zu fürchten,
Du hast uns alle überlebt.
Ich war dein letzter Feind,
Vergaß den süßen Schlaf,
Vergaß das Leben und die Liebe …
Heute feiern wir deinen Sieg!
Du musst verzeihen können, hieß es,
Die Rache ist eine Sünde,
Du lebst nicht, sondern wartest,
Wie willst du da feiern? Lieben? Lügen?!
Mit Mauern wie in einem Gefängnis,
Ist meine Gruft sicher,
Eichenstämme der Erinnerung
Tragen die granit’ne Decke.
Die Kette von Jahren, die Brut von Würmern –
Was willst du da zählen?
Eine Tür knarrt. Ja, ist es denn wahr …!
Sie kommen, meiner zu gedenken.
Licht fällt auf das Banner. Mein Feind,
Warum darf ich nicht aufstehen?!
Die Antwort bleibt aus …
… auf die Brust legt man mir Blumen.
Verzeih, sagt er, mein Feind, mir,
Verzeih und schlafe ruhig!
Ich habe euch alle überlebt,
Jetzt kann ich verzeihen.
Gut, mein Feind, antworte ich,
Dann will ich schlafen.
Wie betäubend die Blumen duften …
Danke. Nun ist es Zeit zu sterben.
Splitter der Ehre, Ruhm der Gefallenen,
Der Todesseufzer der Gruft,
Durchfaulten die Säulen, mein teurer Feind!
Trägst nun du die Last der Platte?!
Zur Ruhe legen sollten wir uns,
Denn wir sind tot,
Die kalte Gruft wärmt mit Moder,
Die Rüstung riecht nach Rost.
Das Lied war lange verstummt, nur das Zirpen der Heuschrecken zerriss die Stille dieses Morgens. Niemand sagte ein Wort, jeder fürchtete das gramerfüllte Schweigen zu durchbrechen.
Wir hatten einen Gefährten verloren. Ob ihm noch mehr folgten? Niemand wusste, wer oder was vor uns lag. Zu viele Hindernisse galt es noch zu überwinden, um zu den Wäldern Sagrabas zu gelangen, die den Friedhof von Hrad Spine schützen.
»Genug.« Ohms Stimme klang wie ein Reibeisen. »Wir müssen weiter.«
»Einen glücklichen Winter, Kater.« Kli-Kli wandte sich ab und versuchte, seine Tränen zu verbergen.
Wir alle trauerten, daneben schwelte aber auch ein
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