Schattenwanderer
Gehämmer an meiner Tür ließ mich aus dem alten, wackligen Holzbett springen und nach einer Waffe greifen. Gestern Abend war ich so müde gewesen, dass ich mich angezogen schlafen gelegt hatte. Selbst die Armbrust hatte ich nicht abgeschnallt, und sie hatte sich mir nachts in den Rücken gebohrt. Jetzt schnallte ich sie ab, rieb mir das schmerzende Kreuz und entsicherte die kleine Waffe. Ich stellte mich nicht vor die Tür, sondern kauerte mich neben sie, dicht an die Wand gepresst. Es klopfte noch einmal, diesmal lauter und energischer.
»Garrett? Seid Ihr da? Öffnet! Im Namen des Ordens!«, ertönte eine junge Stimme.
Was wollte der Orden noch vor dem ersten Hahnenschrei von mir? Ich blickte zum verdreckten Fenster hinüber. Die Sonne stand recht hoch am Himmel. Sollte es tatsächlich schon Mittag sein? Ich hatte verdammt lange geschlafen! Aber war das ein Wunder? Nach der Begegnung mit Bleichling in der Bibliothek, einem kleinen Querfeldeinrennen durch die halbe Stadt, gejagt von fuchsteufelswilden Doralissern, und den Verhandlungen mit einem hungrigen Dämon?
Unwillkürlich verzog ich das Gesicht. Dieser verfluchte Dämon! Tagsüber durfte ich mich in Sicherheit wiegen, aber nachts würde der Spaß losgehen.
»Garrett! Öffnet die Tür, oder ich schlag sie ein!«
Kannst es ja mal versuchen! Obwohl: Wenn das wirklich ein Magier des Ordens war, dann brauchte er es nicht einmal zu versuchen. Dann brauchte er nur zu spucken – und die Hälfte meines Hauses würde in feinen Staub aufgehen. Ernsthaft erwog ich die Idee eines kleinen Ausflugs durchs Fenster. Wie hatten sie mich hier aufgespürt? Wahrscheinlich genauso wie die Doralisser. Jemand musste ihnen einen Hinweis gegeben haben. Ich müsste mal nachsehen, ob nicht ein Schild über meiner Tür prangte: Garrett der Schatten. Meisterdieb. Geöffnet ab zehn Uhr morgens. Keine Mittagspause.
»Garrett, Seine Magierschaft Arziwus bittet Euch zu ihm. Sofort!«
Arziwus? Warum hatte der Tölpel das nicht gleich gesagt? Danach hätte er mir ja immer noch drohen können, die Tür einzutreten.
»Gleich! Wartet!«, schrie ich, während ich nach dem Umhang Ausschau hielt, der immer noch an der Stelle lag, an der ich ihn gestern hatte fallen lassen.
Er war zwar etwas schmutzig, sogar ein paar Abdrücke von Hufen wies er auf, aber trotzdem noch ganz passabel.
Ich schloss auf, schob den Riegel zurück und trat zur Seite. Die Armbrust behielt ich in der Hand, schließlich konnte sonstwer behaupten, Arziwus habe ihn geschickt!
»Tretet ein!«
Die Tür wurde aufgestoßen. Vor mir stand ein ziemlich unauffälliger und magerer junger Mann. Er trug einen blau changierenden Kapuzenumhang, der wie ein Sack an seinen schmalen Schultern hing, und eine kleine Kappe auf dem Kopf. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass ein derart schmächtiges Kerlchen mit einer solchen Wucht gegen meine Tür schlagen könnte.
»Seid Ihr Garrett? Darf ich …« Mein Besucher stockte und wurde ganz grau im Gesicht, als er die auf ihn gerichtete Armbrust bemerkte.
Ich schob die Waffe auf den Rücken – was sollte ich dieses Kind erschrecken? – und zeigte ihm die leeren Hände. »Ja, ich bin Garrett.«
Der Bote befeuchtete sich die ausgetrockneten Lippen, holte tief Luft und sah mich scheu an. Ich nickte freundlich.
»Meister Garrett, Seine Magierschaft, das Oberhaupt des Ordens, Magister Arziwus, bittet darum, ihn unverzüglich aufzusuchen.« Als der Junge meinen Blick auffing, erklärte er: »Ich bin sein Lehrling.«
»Wie hast du mich gefunden?«
»Seine Magierschaft hat mir die Adresse genannt.«
Die musste er mit einem Zaubertrick ermittelt haben!
»Verstehe. Ist was passiert?«
»Ich weiß es nicht.«
»Gut, warte.«
Langsam nahm ich meine Tasche mit den magischen Utensilien und dem Gold, das ich vom König erhalten hatte, aus dem Versteck. Normalerweise bewahre ich nicht mein gesamtes Geld an einem Ort auf, noch dazu zu Hause. Besser, man vertraut es mehreren zuverlässigen Leuten an und lässt das Gold für sich arbeiten. Zum Beispiel in der Bank der Gnome. Dort ist das Geld immer sicher, geschützt durch Fallen, Schlösser, Magie und die grimmigen Hacker, also die Gnome selbst. Aber ich brauchte diese zweihundert königlichen Goldtaler nun mal heute.
»Wo ist die Kutsche?«
»Äh … äh.« Der Lehrling geriet in Verlegenheit. »Ich bin zu Fuß …«
»Dann verrat mir doch mal, Lehrling, wie du mit heiler Haut durch das gesamte Hafenviertel gekommen bist? So
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