Schattenwandler 05. Noah
zog den Kopf ein, als das Prasseln des Wassers noch stärker wurde. Er suchte nach einer Energiequelle außerhalb von ihm, und ein halbes Dutzend drangen in sein Bewusstsein. Er wusste, dass eine davon Kestra war. Wenn er ein weites Netz spannte und die Energie unterschiedslos in sich aufnahm, wäre auch Kestra davon betroffen. Sie war noch zu jung, um die Belastung eines großen Energieverlusts aushalten zu können, vor allem bei der Menge, die er bräuchte, um so starke Feinde zu besiegen. Sein Instinkt riet ihm, dass dies eine taktisch unkluge Entscheidung wäre.
Noah taumelte und fiel mit dem Gesicht voraus auf den nassen Waldboden, der sich rasch in einen Sumpf verwandelte. Er musste atmen. Er brauchte Sauerstoff. Er spürte, wie etwas ihn am Rücken traf, und sein Kopf wurde unter Wasser gedrückt. Immer noch prasselte Wasser auf ihn herab, und jemand trat ihm auf die Hände, damit er sie nicht bewegen konnte. Dann kamen wieder die Hüften und die Beine. Jetzt hatte er noch ein Problem. Vampire mussten nicht atmen. Er hingegen brauchte unglücklicherweise sehr wohl Sauerstoff. Die Vampire waren ungeheuer stark, und bei vier gegen einen hatte er keine Chance, sein Element zum Einsatz zu bringen. Doch er brauchte kein Feuer, um seine Lage zu verbessern. Noah hatte es auf den nächsten und bedrohlichsten Gegner abgesehen. Er konzentrierte sich auf den Vampir, der seinen Kopf unter Wasser drückte.
Kestra schlang die Beine um ihren Angreifer, ohne zu wissen, was oben und unten war, und versuchte sich herumzurollen, während sie über den Waldboden rutschten. Der Vampir war wahnsinnig dünn und glitschig. Und er war sehr stark. Sie hatte kaum die Oberhand gewonnen, da wurde sie auch schon weggeschleudert. Mit einem Fluch landete sie im Unterholz. Und schon wieder war er auf ihr, seine Hand griff nach ihrem Hals und seine Knie drückten sich schmerzhaft auf ihre Oberschenkel. Seine andere Hand bekam nur eine Hand von ihr zu fassen, doch er drückte sie fest gegen den Waldboden. Er zeigte seine gefährlichen Fangzähne und begann ihren Hals mit seiner ungeheuer starken Hand zuzudrücken.
Plötzlich leuchtete Kestra in phosphoreszierendem Grün auf. Überrascht blinzelte der Vampir in das plötzlich aufleuchtende Energiefeld. Er schien einen Augenblick lang ganz gebannt zu sein. Sie nutzte den Moment, bildete mit der freien Hand einen Kreis, und eine Kugel, so groß wie ein Tischtennisball, formte sich in ihrer Handfläche. Der Vampir begriff, dass er einer unbekannten Kraft gegenüberstand, und reagierte. Der Druck auf ihren Hals wurde stärker, und er ließ ihre Hand los. Sie hatte nur eine Sekunde zum Nachdenken, da riss er den Arm zurück, und sie sah etwas glitzern ihm Mondlicht. Es war das Schlimmste, was man tun konnte, wenn man gewürgt wurde, doch sie riss das Kinn hoch, als sich die glänzenden Fingerspitzen auf ihre Schulter, ihren Hals und ihr Gesicht legten und rasiermesserscharfe Nägel sich in ihre Haut bohrten. Kestras Kopf zuckte zur Seite, und zuerst spürte sie nur einen Nagel, der sich in ihre Wange drückte. Die Schmerzen würden später kommen.
Während die Schmerzen bei ihr noch nicht einsetzten, hatte ihr Angreifer nicht so viel Glück. Sie drehte den Kopf zurück, als sein Würgegriff Blut aus ihren frischen Wunden presste, senkte das Kinn, um ein wenig Luft zu holen, und blickte in die gierigen Augen ihres Angreifers. Er beugte sich tiefer über sie, um von ihrem Blut zu trinken. Kestra, die ihre Hände nun frei hatte, packte den Vampir am Hosenbund.
Er spürte, wie sie mit der Hand vorn gegen seine Hose stieß, und bäumte sich auf. Sein Griff um ihren Hals lockerte sich, so erschrocken war er, und er blickte in ihre eisig glitzernden Augen, während sie ihn anlächelte.
Und weil sie nicht sprechen konnte, formte sie das Wort mit den Lippen.
Bumm.
Der kleine Ball war schon seit mehreren Sekunden nicht mehr in ihrer Hand, und als es dem Vampir schließlich dämmerte, war es bereits zu spät. Trotzdem reagierte er wie erwartet. Mit einem Schreckensschrei fuhr er hoch und griff sich zwischen die Beine.
Sie holte röchelnd Atem und rollte sich zurück in die heiße Quelle.
Der Vampir explodierte. Seine Rippen wurden zu Projektilen, die durch den Wald schossen, bevor sie mit dumpfem Geräusch in einem Baumstamm stecken blieben. Der Rest von ihm regnete in der Umgebung herab; das war zwar ekelhaft, aber es war nicht mehr gefährlich. Kestra kam relativ unversehrt wieder an die Oberfläche
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