Schattenwandler 05. Noah
drückte damit aus, was sie selbst nicht wahrhaben wollte. Sie benutzte es, um ihn zu vertrösten, denn er liebte sie wirklich sehr, und trotzdem vermied sie es, ihre Gefühle einer Prüfung zu unterziehen. Ganz zu schweigen davon, dass sie diese Gefühle ausgesprochen hätte. Nachvollziehbar, dass ihm das manchmal nicht gefiel. Doch es war ihm lieber, dass sie nicht versuchte, das zu tun, was er von ihr erwartete. Hätten sie nicht gedanklich in Verbindung gestanden, hätte er ihre widersprüchlichen Signale von Anfang an missverstanden.
Das war etwas, worüber er mit ihr sprechen musste. Er hatte es zu lange laufen lassen. Im Grunde war es für sie beide ungut, wenn sie nicht aus ehrlichem Antrieb handelte. Er wollte das nicht. Sie wollte das nicht. Noah hatte keine Ahnung, wie dieser Gedanke sich überhaupt in ihrem Kopf festgesetzt hatte. Doch er nahm stark an, dass es daran lag, dass sie in letzter Zeit so viel mit geprägten Paaren zusammen war.
Politische Maßnahmen, Beziehungspflege und Training hatten das Schloss zu einem regen Treffpunkt von Prägungspartnern gemacht. Gideon und Legna, Jacob und Isabella, Corrine und Kane – sogar Elijah und Siena waren regelmäßig aufgetaucht, nachdem Elijah gezwungen war, sich mehr um Dämonenbelange zu kümmern als um die Angelegenheiten seiner Frau weit weg. Es war Noah klar, dass Elijah bald wieder gehen musste. Er hatte sich vielen neuen Bedrohungen von außen mutig gestellt, weil es seine Stärke war und weil er wusste, das Noah ihn dringend brauchte, und der König und der Feldherr waren zu dem betrüblichen Schluss gekommen, dass die Wache Kestra vor dem Vampirangriff hätte schützen können, wenn Elijah da gewesen wäre.
Doch Elijah tanzte gerade auf zwei Hochzeiten, und das machte sich bemerkbar. Die Aufgabe, seine Leute zu beschützen, hatte allerdings Vorrang. Er brauchte eine passende Lösung, weil Elijah nicht leicht zu ersetzen war. Sie würden in den nächsten Monaten ziemlich oft Kriegsrat halten, dachte Noah. In der Zwischenzeit, bis Elijah ihm geholfen hätte, einen Nachfolger zu finden, würden die Dinge so bleiben, wie sie waren. Noahs einziges Bedauern, seine einzige Sorge war im Grunde, dass Elijah noch seltener käme, als er es ohnehin schon tat. Er vermisste die respektlose Art des Feldherrn schmerzlich, die sie alle davor bewahrte, die Dinge zu ernst zu nehmen.
Andererseits wäre Kestra kein schlechter Ersatz. Sie erinnerte ihn an Elijah. Ihr Scharfsinn, ihr schneller Stimmungsumschwung, ihre Fähigkeiten und ihre unverhohlene Freude an Zerstörung. Am Kampf. Trotzdem war ihre friedliche Strategie bei ihr gut aufgehoben. Sie würde selber dort draußen an der Front kämpfen, um den Frieden zu bewahren, und es nicht andere an ihrer Stelle tun lassen. Er respektierte das. Es würde zu einer vernünftigen Monarchie beitragen, stellte er fest, als er über Damiens Vorschlag und Kestras Rolle dabei nachdachte. Es war wie auf dem Schachbrett. Der König in der hintersten Reihe und geschützt, wo er die Hauptverantwortung für die Politik trug und seine Aufgaben so erfüllte, wie es von ihm erwartet wurde, während die aggressive Königin sich um die Schutzmaßnahmen kümmerte und den Bedrohungen entgegentrat.
Die Vorstellung gefiel ihm ziemlich gut.
Er hatte keine egomanischen Ideale. Er war stark und konnte kämpfen, doch so ein König wollte er nicht sein. Er griff nur ein bei einer Bedrohung wie der von Syreena, als die politischen Auswirkungen es erforderlich machten. Es hatte ihm stets genügt, sich mit Beratern zu umgeben, die ihre Pflichten zu hundert Prozent erfüllten, wenn es zu Auseinandersetzungen kam. Elijah. Jacob. Bella. Und jetzt Kestra. Es war eine Bereicherung. In vielerlei Hinsicht.
Sie näherten sich der rumänischen Grenze, als eine bestimmte Sinnesempfindung Kestra und Noah traf. Eine unbekannte Furcht überfiel sie. Und weil sie das nicht erwartet hatte, geriet Kestra in Panik. Noah war etwas erfahrener darin.
Ganz ruhig. Es ist eine Täuschung, Kes. Er sprach leise zu ihrem aufgeschreckten Geist. Jemand versucht uns aus der Reserve zu locken.
Noah zögerte einen Moment, weil sie bei ihm war. Wäre es besser, zu landen und sich dem Feind dort entgegenzustellen? Man würde ihnen nur hinterherjagen, wenn sie versuchten, wegzulaufen. Verschaffte das Gebiet unter ihnen dem Feind einen Vorteil? Oder war es einfach eine günstige Gelegenheit?
Günstige Gelegenheit? Sie müssen uns gefolgt sein. Sie konnten nicht wissen,
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