Schattenwende
mal, Daphne!“, ermahnte sie sich und schüttelte den Kopf. Vielleicht hatte sie gestern Abend zu viel getrunken und das waren nun die Konsequenzen. Hirngespinste. Sie hatte sich vielleicht dazu hinreißen lassen, mit Reagan nach Hause zu fahren und dort …
Wie peinlich das war. Ihr stiegen Tränen in die Augen. Beschämt. Oh ja, das traf es ganz gut. Reagan hatte gewiss Mitleid mit ihr gehabt und sie deswegen mitgenommen.
Daphne schlug die Bettdecke zurück, atmete nur flach. Sie sammelte ihre am Boden liegende Kleidung auf und zog sich rasch an.
Verdammt, wie spät war es?! Ihre Schwester würde sich Sorgen machen, wenn sie am Morgen aufwachte und sie immer noch nicht zuhause war.
Daphne ergriff ihre Handtasche und wühlte darin hastig nach ihrem Handy.
Drei Anrufe in Abwesenheit.
Sie wählte Janets Nummer und sofort hob ihre Schwester ab.
„Daphne? Daphne, wo zum Teufel bist du?“
„Janet, mach dir bitte keine Sorgen. Ich hab bei einem Freund übernachtet. Ich komm bald heim, ja?“
„Wieso übernachtest du bei einem Freund?“
„Ich komm bald heim“, wiederholte sie und legte mit zusammengepressten Kiefern auf. Sie würde Janet später alles erklären. Jetzt musste sie erst mal zusehen, dass sie nach Hause kam, bevor Reagan noch ins Schlafzimmer marschierte. Wie unangenehm. Sie musste raus hier, ehe sie im Erdboden versank. Sie glitt in ihren Mantel, klemmte sich die Handtasche unter den Arm und knipste das Licht aus, ehe sie mit einem tiefen Atemzug vorsichtig die Tür öffnete und sie einen winzigen Spalt breit aufzog. Vorsichtig lugte sie hinaus, konnte im dunklen Flur aber nichts erkennen. Angestrengt lauschte sie in die Stille. Nichts. Kein Geräusch. Keine Stimmen hinter irgendeiner der vielen Türen. Ohneunnötig Zeit zu verschwenden, schlängelte sie sich durch den schmalen Spalt. Sie wollte nicht riskieren, dass Reagan dank einer quietschenden Tür noch auf sie aufmerksam wurde und sie sich für seine karitative Arbeit bedanken musste.
Im Flur blieb sie unschlüssig stehen und kniff die Augen zusammen, um wenigstens annähernd so etwas wie eine Orientierung zu gewinnen. Am Ende des Korridors brannte eine winzige Wandlampe, die den Gang schwach erhellte und ihr den Weg zum Treppenhaus wies.
Wahnsinn, wie viele Zimmer es auf dieser Etage gab. Das Haus musste riesig sein. Allein die Ausstattung von Reagans Appartement hatte unglaublich teuer ausgesehen. Wenn der Rest des Hauses ebenso verschwenderisch eingerichtet war, dann musste sie wohl aufpassen, bei ihrer Flucht nicht noch etwas umzuschmeißen.
Daphne legte die Finger auf das Geländer und schlich auf Zehenspitzen die Treppe herunter, während sie ein Stoßgebiet zum Himmel sandte, dass keine der Stufen unter ihrem Gewicht zu knarren begann. Wer auch immer ihr Flehen erhört haben mochte und die Treppe zum Schweigen verdonnerte, schien sich dennoch einen Scherz mit ihr zu erlauben. Als sie über eine Unebenheit stolperte, wäre sie beinahe ins Straucheln geraten und die letzten Stufen heruntergestürzt, hätte sie sich nicht gerade noch rechtzeitig am Geländer festklammern können.
Das Licht aus dem oberen Flur erreichte das untere Geschoss nicht mehr. Hier war es stockfinster. Da half auch kein Augenzusammenkneifen mehr.
Wo war denn bloß die verdammte Haustür?
Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie sich in Zeitlupe durch den unendlich groß scheinenden Raum bewegte.
Oder besser, wo war der Lichtschalter?
Mit den Fingerspitzen tastete sie sich suchend an der Wand entlang.
„Ach Mist“, fluchte sie leise vor sich hin. Alles, was sie fand, war die glatte Oberfläche einer Ledercouch. Keine Tür, kein Lichtschalter.
Plötzlich erstarrte sie. Schritte näherten sich. Aber keine schweren, lauten, trampelnden. Nein, trippelnde, gedämpfte, sanfte Schritte.
Als das Licht anging, war Daphne nicht überrascht, einer Frau gegenüberzustehen. Sie hatte es bereits an ihrem Gang erkannt.
Trotzdem war sie nicht auf die Welle der Eifersucht und der Enttäuschung gefasst, die sie beim Anblick der hübschen, rothaarigen Frau empfand, die mit verblüffter Miene vor ihr stand.
„Entschuldigen Sie“, murmelte Daphne, die sich zutiefst gedemütigt fühlte, ertappt.
„Ich fürchte, ich habe den Ausgang nicht gefunden. Was daraus resultiert, dass ich den Lichtschalter nicht gefunden habe“, fügte sie schwach hinzu.
„Was wiederum daraus resultiert, dass ich anscheinend verrückt werde und von Männern mit schillernden
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