Schattenwende
ich wäre, wenn Sie sich uns anschließen würden.“
„Moment mal“, unterbrach Daphne Ria benommen. „Vampir?“
„Ja, Daphne. Vampir“, stimmte sie zu. „Hat Reagan es Ihnen etwa noch nicht gesagt?“
Unter dem mitfühlenden Blick der anderen sank Daphne in sich zusammen. Wortfetzen drangen in ihren Verstand und die Erinnerung an zwei perfekte, messerscharfe Fangzähne tauchte vor ihrem inneren Auge auf.
„Doch“, flüsterte sie.
„Aber du wolltest es nicht wahrhaben, richtig?“
Ohne dass es Daphne auffiel, wechselte Ria zu dem vertrauteren Du.
„Ich verstehe dich, Daphne. Am Anfang wollte ich das auch nicht begreifen. Auf der einen Seite ist alles so unwirklich, so fiktiv. Man fühlt sich in eine Traumwelt versetzt. Oder in einen Horrorfilm. Man wandelt auf dem gefährlichen Grat zwischen Realität und Illusion. Man zweifelt an sich selbst und seiner Vernunft. Ich meine … Vampire! So was gibt es nicht. Glaub mir, ich habe Damir lange für einen irrsinnigen, wahnwitzigen Psychopathen gehalten, der irgendein Spiel mit mir spielen will. Aber es gibt etwas, das uns verbunden hat. Etwas, was auch dich undReagan verbindet. Das auch uns beide verbindet. Weißt du es, Daphne? Weißt du, was ich meine?“
Ria war aufgestanden und hatte sich neben sie gesetzt. Ihre feingliedrigen Hände lagen auf ihren. Daphne blickte in die warmen Augen Rias und erkannte es plötzlich. Sie nickte kaum sichtbar.
„Farben“, flüsterte sie. „Schillernd, in allen Tönen.“
„Das ist das Symbol der Liya. So nennen wir es. Der schimmernde, achtstrahlige Stern in der Iris eines Menschen. In unserer Welt ist es etwas ganz Besonderes.“
In unserer Welt …
Daphne lehnte sich zurück und entzog Ria ihre Hände.
„Bist du auch ein … Vampir?“, erkundigte sie sich, zauderte das Wort überhaupt in den Mund zu nehmen. Das war alles so absurd.
Rias blendendweiße, ebenmäßige Zähne blitzten auf. Keine Fangzähne.
„Ich bin eine Liyanerin. Wie du.“
„Liyanerin …“ Daphne probierte das Wort aus, kostete den Farbton dieses unbekannten Namens.
„Ria, was ist das Symbol der Liya? Was sagt es aus?“
Wenn man ihr schon unterstellte, eine Liyanerin zu sein, wollte sie wenigstens wissen, was das bedeutete. Ria lächelte verstehend.
„Niemand weiß genau, wo es herkommt. Derzeit gibt es nur eine einzige Person, die die wahre Herkunftsgeschichte kennt, doch dieser Vampir hüllt sich in Schweigen“, erklärte sie leise, gedämpft, und ihre Worte klangen bekümmert.
Dwight …
Daphne war sich sicher, dass Ria es nicht laut gesprochen hatte, dennoch schwebte dieser Name in ihrem empfindsamen Bewusstsein und erfüllte auch sie mit unerklärlicher Traurigkeit, auch wenn sie allein bei dem Gedanken an den unheimlichen Vampir furchtsam zusammenzuckte.
Ria drückte sanft ihre Hände.
„Fürchte dich nicht. Hier kann dir nichts geschehen. Nicht solange ich bei dir bin.“
Daphne lächelte gerührt und blinzelte mühsam die Tränen weg, die sich bei diesen warmherzigen Worten in ihre Augen geschlichen hatten.
„Erzähl weiter“, bat sie.
„Nun, Daphne. Es ist nicht leicht, dir das zu erklären, wenn du unsere Welt nicht kennst. Lass mich dir zuerst ein wenig davon erzählen, von unserer Welt. Auf den ersten Blick kann man Mensch und Vampir nicht voneinander unterscheiden. Sie ähneln sich nicht nur äußerlich. Auch ihr Verhalten und ihre Normen haben sich in den letzten Jahrhunderten denen der Menschen angepasst, damit sie nicht auffallen. Es gibt nicht mehr viele Vampire, weißt du? Es ist schwierig, so zu leben, dass man keinen Argwohn erweckt. Vampire altern nur äußerst langsam, sie brauchen Blut, um zu überleben und sind den Menschen in ihrer Kraft weit überlegen. Dies alles zu verbergen ist aufwendig. Ich glaube, sie machen sich diese Mühe nur, weil ihre Gesinnung weitaus besser ist als ihr Ruf. Wenn ich von „Ruf“ spreche, meine ich natürlich die Klischees und Vorstellungen, die die Menschen sich von Vampiren erschaffen haben.“
Ria lächelte freudlos.
„Es ist unheimlich, wie viel Kraft in diesen Wesen steckt. Sie könnten einen Menschen töten, ehe er überhaupt merken würde, was er da vor sich hat. Wenn sie sich zusammenschließen würden, könnten sie so viel Leid über diesen Planten bringen. Aber das tun sie nicht. Sie nehmen sich nur das, was sie wirklich brauchen. Sie töten nicht, um sich zu ernähren. Sie haben erstaunliche übersinnliche Fähigkeiten, die sie zum Beispiel
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