Schattenwende
zu. Seine Wachsamkeit würde selbst in den eigenen Reihen nicht nachlassen, erst recht nicht, wenn man ihm den Zielort der kurzen Unternehmung nicht verraten wollte.
„Das wirst du gleich sehen“, versuchte Darragh den anderen zu besänftigen und seufzte leise.
„Es ist zu kompliziert und zu verrückt, um es zu erklären, verstehst du? Ich konnte es selbst nicht glauben, und ich denke nicht, dass es dir anders gehen würde, wenn du es nicht mit eigenen Augen siehst.“
Plötzlich blieb der Brite stehen und fuhr zu ihm herum. Seine intelligenten Augen waren klar und wach. Und besorgt. Er deutete auf eine Tür am Ende der Treppe, die nun in ihrer beider Sichtfeld gelangt war.
„Bitte versuche, dein Temperament zu zügeln, wenn wir über die Schwelle treten, okay? Sprich leise und mach’ keine ruckartigen Bewegungen. Einfach cool bleiben.“
Reagan hob irritiert eine Augenbraue.
„Ich bin cool. Und jetzt los, ich will endlich sehen, was du mir zeigen willst.“
Das Klirren des Schlüsselbundes war unangenehm hoch, als Darragh ihn aus seiner Hosentasche zog und einen schmalen Schlüssel in das entsprechende Schloss der Eisentür steckte.
„Denk dran, was ich dir gesagt habe“, warnte er ihn und zog nach einem resignierten Atemzug die Tür auf.
Selbst für Reagan, dessen Augen extrem scharf sahen und wie die Augen eines Raubtieres nicht viel Helligkeit benötigten, war die Dunkelheit derart undurchdringlich, dass einige Sekunden verstreichen mussten, bis seine Pupillen sich umgewöhnt hatten und er mehr als bloße Finsternis erkennen konnte.
Ein leises Stöhnen ertönte von der Wand gegenüber, als das grelle Flimmern der Halogenleuchten das Zimmer im Bereich der Tür erhellte. Auf einem breiten Bett ruhte eine in sich zusammengekauerte Gestalt, die Reagan, als er vorsichtig näher trat, als Vampir identifizieren konnte. Das bezeugte sein Instinkt. Aber er war so anders als jeder Vampir, den er vorher kennengelernt hatte. Nichts an ihm erinnerte an die immense Stärke, die eigentlich jedem Vampir inne wohnte.
Er sah eher … alt aus. Zerbrechlich und ausgedörrt. Nicht, wie ein alter Mann, sondern wie jemand, der schon viel zu viel erlebt hatte.
„Wer ist das?“, fragte Reagan mit gerunzelter Stirn.
Doch Darragh war nicht mehr da.
Das kahlköpfige, haarlose Wesen rührte sich und begann unter einiger Anstrengung, seinen ausgemergelten Körper aufzurichten, indem es sich an einem Griff festhielt, der in der Wand eingeschweißt war.
„Komm näher“, wisperte es. Ja, es. Reagan war sich immer noch nicht sicher, ob es sich hier wirklich um einen männlichen Vampir handelte.
„Wer bist du?“, wiederholte Reagan seine Frage nun abgewandelt und bewegte sich keinen Zentimeter.
„Xarapar. Ich bin Xarapar“, antwortete das Wesen müde und lehnte sich schwer mit dem Rücken an die Wand. Sein Atem ging stoßweise, so viel Kraft schien ihn dieser kurze Bewegungsablauf gekostet zu haben.
Reagan zuckte die Schultern, denn der Name war ihm nicht bekannt. Das Wesen lächelte schwach und entblößte dabei zwei Fänge. Eine Weile sagte es nichts, dachte nach. Und als es sprach, lief Reagan ein eiskalter Schauer über den Rücken. Er hatte noch nie jemandem mit solch feierlichem Ernst sprechen hören. Es machte fast schon den Eindruck, als hätte Xarapar seine Rede über viele Jahre hinweg einstudiert und immer wieder geübt.
Samtweich tröpfelten nun plötzlich die Worte aus seinem Mund, die Reagans Leben auf einen Schlag für immer verändern sollten.
„Mein Name ist Xarapar. Ich bin über 1.700 Jahre alt und wurde mit einer Schar Var’ir vor genau 1.499 Jahren von Magiern aus Alcuria, meiner Heimat, durch ein Portal in eure Welt geschickt, um nach dem Symbol der Liya zu suchen. Der achtstrahlige Stern sollte den Fortbestand unserer Rasse sichern. Du, Reagan, König der Shadowfall, bist mein Nachfahre, sowie ihr alle, alle Vampire auf diesem Planten, Nachfahren unserer Gruppe seid. Unser Auftrag ist erfüllt. Nächsten Monat öffnet sich das Portal ein letztes Mal, um uns nach Hause zu geleiten. Uns alle. Alle Vampire und alle Menschen, die das Symbol tragen.“
Reagan starrte ihn mit offenem Mund an und war unfähig, irgendeinen Laut von sich zu geben.
Während Reagan, irgendwo tief unter der Erdoberfläche um seine Fassung rang, setzte viele Kilometer entfernt Gorh seinen Fuß auf den Boden der Welt. Der Welt außerhalb des Labors. Ein Weg voller Blut und Tod lag hinter ihm und der Weg vor ihm
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