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Schattenwesen

Schattenwesen

Titel: Schattenwesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rauchhaus
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auf den zweiten Blick ein bisschen zu grau und vernachlässigt. Sie hatte den Charme einer verarmten Adligen, vor der man sich verbeugen wollte – bis man die heraushängenden Fäden an ihrer Kleidung und die wackelnden Zähne in ihrem Mund bemerkte.
    Meine Finger strichen über den verschnörkelten Türklopfer auf dem schweren, schwarz gestrichenen Holz. Früher war er vermutlich einmal golden gewesen. Da ich vergeblich nach einer Klingel suchte, probierte ich den Klopfer einfach mal aus. Umgehend öffnete sich die Tür und ein äußerst trauriges Gesicht starrte durch den Spalt. Als es mich gemustert hatte, verzog es sich zu einem bemühten Lächeln und die Tür wurde ganz geöffnet. Die ältere Dame trat einen Schritt zurück, was wohl bedeuten sollte, dass ich hineinkommen durfte. Seltsame Begrüßung!
    »Sie sind bestimmt Kira«, kam es sehr zögernd über ihre Lippen.
    »Ich glaube, sie weiß, wie sie heißt!«, ertönte eine polternde Stimme aus dem Hintergrund.
    Die Frau zuckte zusammen.
    Warum konnte sie über die Bemerkung nicht einfach lächeln oder Kontra geben? Ob sie eine Dienstbotin war? Gab es so etwas noch?
    Aus einer zweiflügeligen Tür gegenüber der Haustür trat Ruben Nachtmann und kam mit strahlendem Lächeln auf mich zu. Hinter ihm aus dem Raum waren Stimmen zu vernehmen.
    »Sie müssen sie entschuldigen«, sagte Herr Nachtmann, während er meine Hand schüttelte.
    Seine Hand fühlte sich ganz weich und erstaunlich faltenlos an.
    »Sie ist immer ganz durcheinander, wenn wir Gäste bekommen! Darf ich vorstellen – meine Schwägerin Antonia. Und dies ist Kira Tressler, in die ich große Hoffnungen setze.«
    Die Frau nickte mir höflich zu und nahm mir schweigend die Jacke ab.
    Ebenso schweigend sah ich mich um. Die Wände der großen Halle waren bis auf Kopfhöhe mit dunklem Holz vertäfelt, an der Decke, weit über uns, hing ein Kronleuchter. Rechter Hand führte eine Treppe aus poliertem Holz in den ersten Stock, links gab es eine elegante Sitzecke mit unbequem aussehenden antiken Möbeln vor einem wunderschönen Fenster, das von dunklen Holzstreben unterbrochen wurde.
    »Richard!«, rief Herr Nachtmann mit einer Stimme, die jeden Theatersaal hätte füllen können, ohne laut zu wirken.
    Ein älterer Mann mit einem weichen, leicht aufgedunsenen Gesicht trat durch die Flügeltür.
    »Mein Bruder Richard«, wurde er mir vorgestellt.
    Etwas knapp, wie ich fand, und das Lächeln des Mannes wirkte kalt. Ob sie sich gerade gestritten hatten?
    »Bring bitte die Koffer nach oben.«
    Ich winkte ab. »Nur die Reisetasche und der braune Koffer sollen ins Gästezimmer, die eckigen schwarzen brauche ich dort, wo ich arbeiten soll.«
    Richard nickte mir zu, sodass es wie eine leichte Verbeugung aussah.
    »Vielen Dank!«, sagte ich und nickte zurück. »Das ist sehr lieb von Ihnen!«
    »Wir warten im Salon«, fügte mein Gastgeber hinzu und nahm gleichzeitig meinen Arm wie der Herr in der Tanzstunde. Allein durch das Wort »Salon« fühlte ich mich ein bisschen wie in einem Jane-Austen-Roman. Allerdings nur einen Herzschlag lang. Als ich den Raum überblickt hatte, empfand ich ihn als überladen. Der gewaltige Kamin, den ein größenwahnsinniger Architekt hier platziert hatte, hätte gut in ein Schloss gepasst. Ebenso die goldenen Kerzenhalter auf dem Kaminsims. Der orientalische Teppich erinnerte hingegen eher an eine Opiumhöhle. Immerhin gefielen mir die Regale aus dunklem Holz, die links und rechts in die Wände eingelassen waren. Sie waren voller Bücher, die meisten davon dick und in Leder gebunden. Gern hätte ich mehr Zeit gehabt, sie anzusehen, aber vor mir, in einer schweren Sitzgruppe am Fenster, saßen vier Menschen, die mir mit höflichem Interesse entgegenblickten.
    »Ich habe alle hergebeten, damit ich Ihnen meineFamilie vorstellen kann«, erklärte Herr Nachtmann. »Das ist Kira Tressler, die schon erstaunlich viel Erfahrung im Restaurieren von alten Gemälden sammeln konnte.«
    Ich lächelte irritiert in die Runde, während mein Gastgeber auf ein Mädchen in meinem Alter deutete.
    »Das ist Jolanda, die Tochter meines Bruders.«
    Jolanda hatte einen etwas dumpfen Blick. Klamotten waren mir ja sonst egal, aber ich fand, dass ihr Rüschenkleid perfekt mit den geblümten Vorhängen harmonierte. Selbst die etwa sechzigjährige Dame neben ihr hatte etwas Fetzigeres an. Gut, es handelte sich um ein einfaches schwarzes Kleid, verlieh ihr aber eine elegante Würde, die den anderen fehlte.

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