Schauen sie sich mal diese Sauerei an
kann sich nicht über die Hilflosigkeit anderer Verkehrsteilnehmer amüsieren.« Tja, ich schätze, da ist jeder Jeck wohl anders, ich zum Beispiel bin immer wieder von den nächtlichen Reflexionen des Blaulichts in allerlei Glasflächen völlig hingerissen, eine blaue Illuminierung der Stadt, komponiert durch die Notrufe der Bürger - wenn dann noch das Martinshorn dazu spielt, kommt jedes Symphonieorchester mit Lightshow vom Unterhaltungswert her in Schwulitäten. Wir erreichten den Wohnpark nach circa sechs Minuten Alarmfahrt, was für diese Uhrzeit eine eher nur durchschnittliche Zeit darstellte. Nur böse Zungen behaupten, dass unter Feuerwehr, Rettungsdienst und Polizei inoffizielle Wettbewerbe stattfinden, in denen Anfahrtszeiten gestoppt und verglichen werden. Wie dem auch sei, der Wohnpark bestand aus fünf Gebäuden, deren Aufteilung ein wenig an das amerikanische Pentagon erinnerte. Jedes Gebäude hatte jeweils sechs Etagen, die wiederum von Wandelgängen umgeben waren, man konnte quasi auf jeder Etage im Kreis laufen. Eine hübsch gepflegte Grünanlage mit Akazienbäumen, Buchsbaumhecken und natürlich Kletterrosen rundete das Gesamtbild harmonisch ab. Hier ist die Welt noch in Ordnung, dachte ich, die Feuerwehrzufahrt war nicht mit parkenden Autos blockiert, die Hydranten waren korrekt beschildert, die Mülleimer nicht überfüllt, und es befanden sich keine besoffenen, mit Grillkohle und Schweinefleisch experimentierenden Studenten auf dem Rasen. Meine Augen konnten wieder lesen, und so beschäftigte ich mich mit den relevanten Informationen aus dem Einsatzprotokoll: »Wohnpark zur Kletterrose«, Birkenweg 5-7, Gebäude C, Ebene 4, Wohneinheit (WE) 14, bei Schwarz. Als wir vor der Einfahrt des Wohnparks standen und auf das Öffnen der Schranke warteten, las ich Hein die Details unseres Einsatzortes noch einmal laut vor, aber ich erntete nur ein schlecht gelauntes »Kutscher kennt den Weg«. Das sind die Momente, in denen verdammte Klugscheißer wie ich besser einfach mal die Schnauze halten. Mich beschäftigte aber auch schon das nächste Problem: »Ebene 4«! Heißt Ebene 4 etwa vierte Etage, oder ist das vierte Obergeschoss gemeint? Als Leser werden Sie sagen: Mein Gott, was für ein pedantischer Haarspalter! Ich aber sage Ihnen: Dieser kleine Unterschied zwischen Etage und Obergeschoss hat schon Menschenleben gekostet. Rettungsteams haben nach Stunden der Patientensuche zwischen Ebene, Etage, Stockwerk und Geschoss verzweifelt aufgegeben. Bei der Polizei sollen Einsatzkommandos aufgrund dieser Umstände gar schon den Falschen erschossen haben. Die Krux dabei ist folgende: Bei Etagen wird das Erdgeschoss häufig mitgezählt, bei Obergeschossen beginnt das Zählen erst oberhalb des Erdgeschosses. Die Verwirrung wird komplett, wenn der Keller Ebene o ist und somit das Erdgeschoss Ebene 1, dann befinden Sie sich auf Ebene 4 in der dritten Etage, aber erst im zweiten Obergeschoss. Sie werden sagen: Reg dich nicht auf - in Deutschland ist alles beschildert. Ich aber sage Ihnen: Seien Sie froh, wenn Sie die Schilder auf den ersten Blick verstehen. Es gibt Feuerwehrleute, die nach dem Versuch, einen beschilderten Fluchtweg zu erkennen, in psychotherapeutische Behandlung mussten. Lassen Sie es mich schmeichelhaft formulieren: Nicht jeder für die Beschilderung Zuständige hat auch einen Schulabschluss. Beim Betreten des behindertengerecht gestalteten Eingangsbereichs mit neunzig Briefkästen und genauso vielen Klingeln verschwanden alle meine Sorgen. In diesem Wohnpark war alles picobello, leuchtende Notausgangsbeleuchtung, Rauchabzug im Treppenhaus und logische Beschilderung beziehungsweise Beschriftung der Etagen. Ein wenig stutzig machte mich nur der Hinweis auf einem Infobrett der Hausverwaltung. Dort stand zu lesen: »Das Entsorgen von Bürostühlen im hausinternen Müllschlucker ist wegen Verstopfungsgefahr untersagt!« Solche Sätze lösen in mir eine tiefe Nachdenklichkeit aus, aber ich möchte Sie als Leser nicht mit meinem kranken Kopfkino belästigen. Kommen wir zurück zu den Fakten und machen uns auf den Weg zum Patienten. Herr Schwarz wohnte Ebene 4, was in diesem Haus drittes Obergeschoss bedeutete, ein Lageplan verriet, dass man WE 14 erreichte, wenn man den Aufzug beziehungsweise das Treppenhaus nach rechts verließ - alles schien bestens, keine Probleme auf dem Weg zum Patienten. Nun ja, vielleicht ein kleines bisschen zu früh gefreut - der Aufzug war wegen eines Wartungsintervalls außer
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