Schauen sie sich mal diese Sauerei an
alle Pseudonyme, die wir kannten: »Wanda, Inge, mach die Tür auf. Rettungsdienst, Polizei. Herr van Helden, seien Sie doch vernünftig. Wanda, Milva, Inge, sofort die Tür aufmachen!« Unsere Bemühungen hatten keinen Erfolg, die Musik, oder was man so bezeichnet, blieb unverändert laut und wurde hier und da von einem Schreien oder Stöhnen durchdrungen. Verstärkung traf ein, die Polizeibeamten hatten die Nachbarn überzeugen können, dass Teeren und Federn auch keine Lösung darstelle und dass die gute alte Tradition des Vierteilens in Westeuropa mittlerweile eine Straftat sei. PHK Schnelle war wütend: »Jetzt übertreibt er es aber, keine Faxen hier, wer auf Klingeln und Klopfen nicht reagiert, der kriegt die Tür eingetreten!« Es wurde nicht lange gefackelt, die Nachbarn standen als Zuschauer im rückwärtigen Treppenraum, Hein und ich mit Blick zur Tür neben PHK Schnelle. »Los, eintreten!«, sagte er, an seinen Kollegen gewandt. »Fabulous Wanda« verfügte nicht über eine besonders stabile Tür. Mit dem ersten Tritt flogen die dünne Holztür und Teile der Türzarge in die Wohnung. Die Musik dröhnte ohrenbetäubend weiter, und das Bild, das unsere Netzhaut traf und in unseren Gehirnen verarbeitet wurde, löste verschiedene Reaktionen aus: Ein Teil der Nachbarn lief weg, andere standen fassungslos glotzend da, einer übergab sich spontan im Treppenhaus. »Fabulous Wanda« kniete gebückt im Milva-Kostüm, mit Lederriemen ans Bett gefesselt. In ihrem Mund steckte ein Gummiball, ebenfalls durch Lederriemen fixiert. Der Rock des Kleides war bis zur Hüfte hochgeschoben. Hinter »Milva« stand ein behaarter Typ in Angler-Schaftstiefeln aus olivgrünem Gummi, die bis zur Oberschenkelmitte reichten. Der Kopf steckte in einer Ledermaske, die nur die Augen aussparte und am Mund einen Reißverschluss aufwies. In mehr oder weniger rhythmischer Bewegung fickte der Typ unsere arme Wanda nach allen Regeln der Kunst in den haarigen Arsch. Man hatte uns wegen der lauten Musik und der Aufmerksamkeit fordernden Tätigkeit bislang nicht bemerkt. Das rote Kunsthaar der Milva-Perücke wippte im Anschlag jeder penetrierenden Bewegung. Wenn Sie sich also einmal fragen, welche Bilder mich in meinen Träumen verfolgen, dann denken Sie bitte nicht an tragische Herzinfarkte oder offene Beinfrakturen. Wie unsere Wanda ne neue Muffe verpasst bekam, daran denke ich von Zeit zu Zeit bis heute. Für den Rettungsdienst war hier nichts zu tun, die Polizei beendete das Schauspiel. »Fabulous Wanda« war wohl jung und brauchte das Geld. Sie hat die Stadt verlassen - war ihr vielleicht zu spießig.
17. Ein unsympathischer Zeitgenosse
Eile mit Weile - ein rüstiger älterer Herr
Manche Hähne glauben, dass die Sonne ihretwegen aufgeht. Theodor Fontane
D as Licht blendete meine Augen, dem akustischen Alarm schenkte ich kaum Gehör. »Irgendetwas mit internistischem Notfall«, faselte es aus dem Lautsprecher in der Wand, steht eh alles noch mal auf dem Einsatzprotokoll, das zeitgleich mit dem Alarm aus dem Drucker in der Fahrzeughalle jagt. 04:37 Uhr - es gibt keine unchristlichere Uhrzeit für Notfälle. Schlafen ist im Dienst verboten, intensiv Ruhen dagegen erlaubt. Erklär das mal bitte jemand meinem vegetativen Nervensystem. Um diese Uhrzeit gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder es wird akut gestorben, oder irgendein hypochondrisch veranlagter Stadtneurotiker hat nen Furz quer sitzen. »Wohnpark zur Kletterrose« war der Einsatzort, las ich mit verquollenen Augen. Eigentlich eine gute Adresse mit buntem Mix aus verschiedenen Generationen und Nationen mit eher überdurchschnittlichem Einkommen. Untypisch für unnötige nächtliche Alarmierungen, aber es gibt ja für alles ein erstes Mal. Hein rauschte an der Rutschstange durch den Gleitschacht, der die Ruheräume mit der Fahrzeughalle verbindet, und huldigte etwas unsanft der Schwerkraft. »Schon vier nach zwölf«, motzte er vor sich hin. Damit war keine Uhrzeit gemeint, sondern die Anzahl der Einsätze nach 00:00 Uhr. Man muss wissen, Hein ist kein Nachtmensch und nach Einbruch der Dunkelheit immer etwas übellaunig. Deshalb ignorierte ich auch völlig, dass Hein sein T-Shirt in dieser Nacht auf links trug. Wir stiegen ins Auto, und los ging die Fahrt. Der Spaß- oder auch Stressfaktor bei nächtlichen Alarmfahrten ist umstritten. Die einen sagen: »Schön, man kann ungehindert mit 80 km/h durch die Stadt brettern, kein Mensch auf der Straße«, die anderen sagen: »Mist, man
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