Schauen sie sich mal diese Sauerei an
wie aus einem Horror-B-Movie. Strähnige, fettige Haare, ein aufgemalter Schönheitsfleck über der Oberlippe und Reste von Schminkpuder erweckten den Eindruck einer hässlich geratenen Porzellanpuppe. Leider brüllte die missratene Porzellanpuppe jetzt auch noch aus Leibeskräften: »Hilfe, Hilfe, Hilfe, so helft mir doch!« Vom Geschrei angelockt, gesellte sich auch die Polizei zu uns. »Was ist denn hier passiert? Warum schreien Sie um Hilfe? Beruhigen Sie sich doch erst mal!« »Ich soll mich beruhigen? Das sagen Sie so einfach, ich hab gerade stundenlang in diesem Loch gesessen, war ganz alleine, und keiner hat mir was zu trinken spendiert«, sagte das noch immer die Ampel umarmende Häufchen Elend in schrillem Tonfall. Der Teil mit dem »stundenlang in einem Loch sitzen« kam uns allen irgendwie bekannt vor. Hein bohrte nach: »Erklären Sie uns das mit dem Loch doch mal bitte genauer. Wo ist dieses Loch, in dem Sie gesessen haben?« »Die Kneipe gegenüber der Baustelle, wie heißt das Drecksloch doch gleich, ähm, >Stiefellecker<, ich sollte da auftreten, hatte aber nicht mal ne eigene Garderobe - können Sie sich das vorstellen?! Ich hab dann nur zwei Lieder gesungen und bin danach mit Gin-Tonic abgestürzt. Ich verrücktes Huhn hab dann noch die Feuerwehr gerufen, damit mich ein paar starke Männer retten. Ist aber keiner gekommen.« Die Schilderung hatte einen Rosa-Wattebausch-Tonfall, der Hein zur Weißglut brachte: »Du bist also die schwule Hupe, mit der ich hier fast eine Stunde Verstecken gespielt habe?« Ein gesäuseltes »Sei nicht böse, wenn du mich nicht gefunden hast, Schnucki« machte Hein sprachlos. Wir hatten unseren Mann aus dem Schacht gefunden. Nun übernahm die Polizei das Ruder: »Sehr schön, das gibt ne fette Anzeige wegen Notrufmissbrauchs. Wie ist Ihr Name?«, fragte einer der Polizisten. Meine Erinnerung kehrte zurück, das Gesicht, die Stimme. »Rene van Helden«, sagte ich viel zu laut. Entzückt, dass jemand seinen Namen kannte, schaute mich der junge Mann verliebt an. Mir wurde klar: Ich hatte einen neuen Freund. »Sehr richtig: Rene van Helden, ich bin adeliger Abstammung, meine Fans nennen mich aber >Fabulous Wanda<, ich bin Travestiekünstler«, antwortete er, sie, es dem Polizisten, ohne den Blick von mir zu wenden. Auf unsere nächste Begegnung brauchte ich nur zwei Tage zu warten. Als »Milva« verkleidet, hatte mein neuer Freund die Notbremse einer Straßenbahn gezogen. »Milva« oder das, was so aussah, hatte den Fahrersitz erobert und stand nun den verdutzten Fahrgästen und einem völlig hilflosen, überforderten Fahrer lauthals zeternd gegenüber: »Es lebe die monarchische Republik, ich rufe hier in dieser Straßenbahn und dort, wo sie steht und fährt, die neue Republik aus! Ich muss um meine Gesundheit und mein Leben fürchten. Letzte Nacht tauchten um 01:20 Uhr vier Bankangestellte vor meiner Wohnung auf, hielten den Türspion zu und gaben sich als Pizzadienst aus. Sogar vor Frauen machen die nicht halt! Was soll ich nur tun? Sollte mir etwas zustoßen: Ich bin keines natürlichen Todes gestorben! Bitte helfen Sie mir. Man ist ja als Staatsopfer für jedes nette Wort dankbar. Natürlich dürfen Sie alles veröffentlichen. Unsere Familien haben nicht das Wirtschaftswunder vollbracht, damit man uns so behandelt. Republik, Republik, Monarchie, Monarchie, monarchische Republik. Ich freue mich, dass es Menschen wie Sie gibt, die nicht wegschauen. Ich habe die ganze Nacht geweint. Vielen Dank für Ihre Hilfe. Morgen nagel ich meine Thesen an die Rathaustür. Da werde ich dann auch auf unsere Bewegung hinweisen. Und wenn es >nur< am Schwarzen Brett ist. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag - Monarchie, Monarchie!« Es dauerte einen Moment, bis ich unseren Kunden, Patienten - nennen Sie es, wie Sie wollen - wiedererkannte. »Milva« sah täuschend echt aus, aber bei genauerem Hinsehen war klar, dass es sich erneut um Rene van Helden alias »Fabulous Wanda« handelte. Es war heller Tag, mitten in der Woche, die meisten Menschen machten sich zu dieser Tageszeit in irgendeiner Form nützlich, aber vor mir stand ein Kerl in roter Kunsthaarperücke, schwarzem Paillettenkleid mit Federboa und ungefähr viereinhalb Kilo Schminke im Gesicht. Als Hein und ich die Straßenbahn betraten, schaute der Fahrer in seiner grauen Uniform, als würde er gerade von GSG9-Beamten aus seiner Geiselhaft befreit. Hein, der mit »Wanda« ja noch eine kleine Rechnung offen hatte, handelte sofort,
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