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Schauen sie sich mal diese Sauerei an

Schauen sie sich mal diese Sauerei an

Titel: Schauen sie sich mal diese Sauerei an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Nießen
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er legte unsanft seinen Arm um ihre/seine Hüfte und verließ mit der Milva-Transe, die weiter politischen Schwachsinn von sich gab, wortlos die Straßenbahn. Die Fahrgäste applaudierten. Mir ist bis heute nicht klar, ob sie Hein für sein entschlossenes Handeln Beifall spendeten oder ob der Mob mit dem Applaus den politischen Inhalt von »Milvas« Rede würdigte. Sie fragen sich jetzt sicher: Was macht man nun mit einem solchen Patienten? Guter Punkt. »Milva« war nicht krank genug fürs Krankenhaus - körperlich war der Mann schließlich gesund - aber auch nicht irre genug für die geschlossene Anstalt. Wenn jeder Bescheuerte dort untergebracht wäre, müssten wir Großstädte überdachen. Mit nach Hause nehmen will man »Milva« aber auch nicht, also ist guter Rat tatsächlich teuer. Tatsache ist, für ein bisschen bescheuert gibt es im Akutfall kaum geeignete Unterbringungsmöglichkeiten. Hein übergab »Fabulous Wanda« alias »Milva« der Polizei, die unser Schätzchen aber auch nicht dauerhaft betreuen konnte. In den nächsten Wochen wurden wir, d.h. Rettungsdienst und Polizei, ordentlich auf Trab gehalten. Einmal besetzte »Fabulous Wanda« das Haus, in dem er zur Miete wohnte, und sperrte alle anderen Mitbewohner aus. Als Begründung verkündete er über ein Megaphon: »Das ganze Rattenpack spioniert für den Ostblock!« Straßenkreuzungen wurden regelmäßig zur Republik erklärt, wofür Sitzblockaden als probates Mittel dienten. Nach Eintreffen von Staatsbediensteten verhielt sich »Fabulous Wanda« aber grundsätzlich friedlich. Zwar wurde immer wild krakeelt, aber wirklicher Widerstand wurde nicht geleistet. Man hatte den Eindruck, er, sie, es genoss die Gesellschaft von Polizei und Rettungsdienst. »Fabulous Wanda« hatte durch das Provozieren von Einsätzen einen Weg gefunden, Aufmerksamkeit zu erregen; vielleicht eine Art Kompensation für eine erfolglose Travestiekünstlerkarriere. Nachdem man sich besser kennengelernt hatte, entwickelte sich so etwas wie eine genervte Freundschaft. Man kannte mittlerweile die verschiedenen Kostüme und Rollen, die »Fabulous Wanda« darbot. Mein persönlicher Favorit blieb »Milva«, aber auch »Inge Meysel« und »eine der Jakob Sisters« hatten Fans. Kennen Sie das alte Lied von Mike Krüger: »Wenn du das bist, dann macht das nichts, du kannst ja nichts dafür ...«? Unter diesem Motto wurden Einsätze mit Rene van Helden abgearbeitet. Man war zwar genervt, aber wirklich böse konnte man diesem Mann im falschen Körper auch nicht sein. Es herrschte eine Weile Ruhe. Seit Wochen hatten wir keinen Einsatz mit unserer Stammtranse. Wir waren der Künstlerdiva wohl zu langweilig geworden. Vielleicht hatte »Milva« aber auch irgendwo den Durchbruch geschafft - wir hofften in Übersee - und einfach keine Zeit mehr, uns zu belästigen. Doch wie das mit Hoffnungen nun mal ist, allzu oft werden sie enttäuscht. Die Polizei wurde zur Ruhestörung alarmiert, der Rettungsdienst zur unklaren Lage - Schreie in einer Wohnung. An zwei Orten in der Stadt folgte nun beim Betrachten der Adressdaten ein vollkommen identischer Ausspruch: Örtlich getrennt, aber wie aus einem Mund sagten Polizeihauptkommissar Schnelle und Rettungsassistent Hein: »Scheiße, es geht wieder los - >Fabulous Wanda< is back in town!« Wir trafen zeitgleich an der Wohnung von Wanda ein. Schon auf der Straße hörten wir aus dem zweiten Obergeschoss ohrenbetäubenden Lärm. PHK Schnelle klingelte bei einem Nachbarn, um uns Zutritt zum Haus zu verschaffen. Sofort nachdem ein Sssrrriiinnnggggg zu hören war, öffnete sich die Haustür, und eine ganze Nachbarschaftsarmee empfing uns. Im Hausflur war der Lärm als Musik zu identifizieren; begleitet von Death-Metal-Klängen und gelegentlichen schrillen Schreien, versuchte die gutbürgerliche Nachbarschaft, ihr Anliegen vorzutragen: »Schaffen Sie uns das perverse Schwein vom Hals. So was hätte es vor 1945 nicht gegeben. Meine Frau nimmt schon Medikamente wegen dem Arsch. Abschieben, den schwulen Kommunisten, abschieben, sag ich!« Durch die extrem laute Musik war selbst im Flur das empörte Geschrei der Nachbarn kaum zu verstehen. Während die Polizei versuchte, den Mob zu beruhigen und Selbstjustiz zu verhindern, kämpften Hein und ich uns ins zweite Obergeschoss zur Quelle des akustischen Overkills vor. An der Wohnungstür von Rene van Helden angelangt, klopften und klingelten wir, was das Zeug hielt. Wir hämmerten mit Fäusten gegen die Tür und schrien

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