Scheherazade macht Geschichten
Wesir zu seinem Bruder, dem König Shahzaman, der trotz seines Alters und all seiner Weisheit und Erfahrung sowohl bei seinen Untertanen als auch bei denen des angrenzenden Königreiches als der Jüngere König bekannt war.
Und als der Jüngere König von seines Bruders Verlangen nach einem Wiedersehen hörte, da stimmte er einem Treffen ohne zu zögern zu. Er bereitete seinen Hof augenblicklich auf seine längere Abwesenheit vor, führte lange Gespräche mit seinem Haushofmeister, seinem obersten Eunuchen und seinem obersten Sklaven, denen er auftrug, sich um ihre jeweiligen Pflichten zu kümmern. Ganz besonders sollten sie auf seine Frau achten und sie vor allem Übel bewahren, denn er liebte diese Frau mit ganzem Herzen.
Doch, ach, wie schnell und ohne Vorwarnung kann sich das Schicksal wenden, und wie wenig kann der Mensch es beeinflussen! Und so kam es also, daß der Jüngere König, kurz nachdem er den Hof verlassen hatte, feststellte, daß er das Geschenk für seinen Bruder in seinen Gemächern vergessen hatte. Doch kaum war er in diese seine Gemächer zurückgekehrt, da entdeckte er auf dem Lieblingsdiwan seiner Frau nicht einen, sondern zwei Körper, die sich dort ausgestreckt hatten.
Nun, eins dieser beiden Geschöpfe war in der Tat die Frau des Königs, was ja auch nicht weiter verwunderlich ist. Das zweite jedoch – das so eng an das andere gepreßt war, daß man nicht mehr sagen konnte, wo der eine nackte Körper zu schwitzen begann und der andere zu transpirieren aufhörte (ganz zu schweigen von den anderen Flüssigkeiten, die ihren Weg zwischen Mann und Frau suchen) – dieses andere Geschöpf also war der oberste Sklave, derselbe Mann, den der König erst vor so kurzer Zeit an seine Pflichten gemahnt hatte. Niemals hätte König Shahzaman, als er dem hochgewachsenen und gelenkigen Sklaven die Anweisung gegeben hatte, die Königin zu beschützen, sich träumen lassen, daß dieser derart scharf darauf sein könnte, seiner Frau den Rücken zu decken.
Nun, Shahzaman hatte in einer solchen Lage natürlich keine Wahl. Ihm blieb nichts anderes zu tun, als beide, seine Frau und seinen Sklaven, zu köpfen. Doch als er diese lästige Pflicht erledigt hatte, lag er nicht nur eine Viertelstunde hinter seinem Reiseplan zurück, nein, die Treulosigkeit der beiden hatte ihn auch in eine äußerst schlechte Laune versetzt, was dem bevorstehenden Wiedersehen mit seinem Bruder natürlich nur abträglich sein konnte.
Und dennoch, ein Versprechen ist ein Versprechen, und was ist das für ein König, der seine Pflichten nicht erfüllt? Und so kam es also, daß Shahzaman trotz allem zum benachbarten Königreich aufbrach. Sein Bruder, der Große König Shahryar, begrüßte ihn voller Freude, und Shahzaman bemühte sich, dieses Gefühl zu erwidern. Doch trotz all seiner Bemühungen mußte der Jüngere König feststellen, daß er während des großen Banketts, das an diesem Abend stattfand, überhaupt keinen Appetit verspürte, und auch die darauffolgenden kostspieligen Belustigungen würdigte er nicht eines einzigen Blickes. In der Tat plagten ihn seine Sorgen die ganze Nacht über, und als der Morgen heraufzog, fand dieser ihn noch immer hellwach mit dunklen Schatten unter den Augen und leichenblassem Gesicht.
Sein Bruder fragte, was ihm denn fehle, doch der Jüngere König wollte den Großen König nicht mit seinen häuslichen Problemen belasten und gab der langen Reise die Schuld an seinem Unwohlsein. Als er das hörte, schlug König Shahryar vor, auf eine große Jagd zu gehen, denn ein solcher Zeitvertreib konnte selbst Könige ihre Sorgen vergessen machen. Doch der Jüngere König hatte nicht einmal Lust, an diesem Vergnügen teilzunehmen, und bat seinen Bruder, ohne ihn aufzubrechen.
Und so kam es, daß Shahzaman zurückblieb, während sein Gastgeber auf die Jagd ging. Der Jüngere König zog sich erneut in seine Gemächer zurück und versuchte, sich ein wenig auszuruhen, obwohl seine aufgewühlten Gedanken ihm immer noch keinen Schlaf gestatteten.
Nun geschah es aber, daß der Jüngere König, während er in diesem unruhigen Zustand verharrte, einen größeren Tumult in jenem Garten vernahm, der gleich unter seinem Zimmer lag. Da er selbst in seinem Elend noch Neugier verspürte, stand Shahzaman auf, schlich sich leise an die verdunkelten Erkerfenster und starrte ungläubig auf die Szene, die sich unter ihm abspielte. Denn dort, auf einem riesigen Berg von Kissen, die man mitten im Garten angehäuft hatte,
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