Scheherazade macht Geschichten
männlichen Bedürfnissen nachkommen und sich endlich erleichtern können. Und danach? Nun, wer konnte das schon sagen. Natürlich bestand später immer noch die Gefahr, daß es zu einer Köpfung kam, die Wahrscheinlichkeit für eine solche schien dann jedoch nicht mehr sehr groß zu sein. Zum erstenmal seit langer Zeit schien die Nacht wieder alle Möglichkeiten für ihn bereitzuhalten.
Dennoch fürchtete sich der König noch immer vor einer Wiederholung der Ereignisse, wie sie sich in den beiden Nächten zuvor abgespielt hatten. Also unterwies er seine junge Gespielin folgendermaßen: »Ich warne dich, wenn dir dein Leben lieb ist, wirst du das Wort ›Kissen‹ besser nicht zu oft in den Mund nehmen.«
»Kissen?« fragte sie und hielt die Augen noch immer auf den Boden gesenkt. »Nein, ganz sicher werde ich so etwas nicht erwähnen, wenn es Euer Wunsch ist.«
Doch es genügte schon, daß dieses Wort ein einziges Mal über die Lippen der jungen Frau kam, um dem König einen Schauder den Rücken hinunterzujagen. Würde der Fluch ihm auch in dieser Nacht einen Strich durch die Rechnung machen? Aber nein, sicher hatte sie ihm nur zu verstehen geben wollen, daß sie seinen Befehl verstanden hatte. Und doch, wenn das der Fall war, warum verspürte er dann eine derartige Unruhe?
»Und Lanzen!« fügte der König daher in aller Eile hinzu. »Ich will kein einziges Wort über Lanzen hören!«
»Warum sollte ich etwas über...«, begann das junge Mädchen, unterbrach sich dann aber, um verschämt zu kichern, als Shahryar seinen Gürtel löste. »Oh, diese Sorte von Lanzen! Meine Freundinnen haben mir von so manch scharfem Ritter...«
»Oh, verflixt!« brummte der König aufgewühlt. Denn kaum waren ihr diese Worte über die Lippen gekommen, flog auch schon sein Schwert aus der Scheide und ihr Kopf von den Schultern.
Sicherlich war er zu ungeduldig mit diesem Mädchen gewesen, dachte er im nachhinein. Und dennoch, als König konnte man gar nicht vorsichtig genug sein. Es würde andere Nächte und andere Mädchen geben.
Und so ging es weiter, Nacht für Nacht, Mädchen für Mädchen, Frau für Frau, Köpfung für Köpfung, bis der König das immer gleiche Ritual bloß noch aus reiner Gewohnheit zu verrichten schien.
Das ist der Zeitpunkt, an dem ich die Bühne des Geschehens betrete.
Ich war damals, und seitdem sind ein paar Monate vergangen, noch ein junges Mädchen. Ich lebte zusammen mit meiner Schwester Dunyazad in den prächtigen Gemächern meines Vaters, des Großwesirs, eben jenes Aziz, von dem ich schon erzählt habe.
Eines Morgens traf ich meinen Vater in einer sehr besorgten Stimmung an: immer wieder rang er verzweifelt die Hände, ein Vorgang, den er nur unterbrach, um sich den Bart zu raufen. Außerdem schien er von mir keinerlei Notiz zu nehmen, als ich den Raum betrat, obwohl meine Ankunft normalerweise immer mit einem lieben Wort oder einem Lächeln belohnt wurde.
»Vater«, fragte ich daher, »was bedrückt dich?«
Meine Frage zwang ihn, mich endlich doch noch zur Kenntnis zu nehmen, und er versuchte mir ein Lächeln zu schenken, was seine Sorgen ihm jedoch nicht erlaubten. »O meine Tochter!« erwiderte er. »Ich stehe vor einem äußerst verzwickten Problem. Dreihundert Tage und Nächte sind vergangen, seit unser König von seiner Reise zurückgekehrt ist und beschlossen hat, seine Gewohnheiten zu ändern. Doch ach! Inzwischen ist jede heiratsfähige Frau in unserem Königreich – und sogar ein paar weniger heiratsfähige – dem Fluch unseres Herrschers zum Opfer gefallen! Und wenn es mir nicht gelingt, eine Frau zu finden, die diese Nacht im Bett unseres mächtigen Königs verbringt, fürchte ich, daß ich derjenige sein werde, der sich unter seinem kopfabtrennenden Schwert wiederfindet!«
Auf diese besorgte Klage hin konnte ich nur lachen. »Aber Vater«, versuchte ich ihn zu beruhigen, »du hast doch selbst zwei hübsche Töchter.«
»Scheherazade?« flüsterte er, als läge einem Vater, der wie er seine Kinder beschützte, nichts ferner als ein solcher Gedanke. »Dunyazad? Nein, niemals werde ich meine Töchter einem solchen Schicksal aussetzen. Dann ist es besser, wenn ich geköpft werde!«
»Unsinn«, widersprach ich ihm. »Es besteht durchaus eine gewisse Wahrscheinlichkeit, daß ich die Gemächer des Königs betreten werde, aber daß ich deshalb gleich meinen Kopf verlieren soll, halte ich für äußerst unwahrscheinlich.«
Dennoch sträubte sich mein Vater weiterhin und begann mir
Weitere Kostenlose Bücher