Scherben
lächelte ich von meinem hohen Ross und widmete mich den Wolken und meinem Herzschmerz.
Aus der Luft wirkte Zagreb schleimig, bedeckt mit einer hauchdünnen, eiweißartigen Schicht aus wässrigen Wolken. Die Klappen an den Tragflächen kamen zum Einsatz, die Mechanik rumpelte wie ein rebellischer Magen und bremste uns ab. Das Zeichen zum Anschnallen leuchtete auf, der Kapitän nuschelte seine Ansage. Das Gesicht des schlafenden Geschäftsmanns spannte sich gequält an, bis die Ansage vorbei war, dann erschlaffte es wieder.
Mein Magen war in Aufruhr. Der Grund war nicht die Landung. Oder vielleicht auch ein bisschen die Landung, vor allem aber hatte ich Panik, weil ich nicht wusste, was unten am Boden passieren würde.
»Reisepass«, sagte der junge Beamte auf Englisch, der den Guardian unter meinem Arm gesehen hatte. Er lächelte, aber als ich ihm keinen weinroten britischen Pass reichte, sondern meinen blauen bosnischen, verschwand sein Lächeln und versteckte sich hinter zwanghaft zuckenden Lippen. Es fiel ihm aus dem Gesicht wie Krümel.
»Ist Ihnen bewusst, dass bosnische Staatsangehörige ein Visum brauchen, um nach Kroatien einzureisen?«, bellte er, seine Stimme war plötzlich eine Oktave tiefer. Seine rosafarbenen, zittrigen Hände mit den abgekauten Nägeln fuhren fahrig über den Umschlag, drehten und wendeten das Ding, klappten es auf und wieder zu, als hätte er im Leben noch keinen Reisepass gesehen.
Ich zeigte ihm das Visum.
Es bebte dort in seinen Händen, schief an eine Seite meines Reisepasses geheftet, die Kanten guckten eselsohrig und abgegriffen heraus. Er betrachtete es, berührte es, rieb mit dem Daumen darüber, als wollte er die Echtheit überprüfen, hielt es ins Licht. Es fehlte nur, dass er daran leckte.
»Gibt es ein Problem?«, fragte ich in einer Sprache, die er verstand.
»Warten Sie hier«, sagte er und wählte eine Nummer.
Das Problem war natürlich mein muslimischer Name, da es erst kürzlich wieder zu Zusammenstößen zwischen bosnischen Muslimen und Kroaten gekommen war, obwohl ihre jeweiligen Jungstaaten eine Koalition gegen den gemeinsamen Feind im Osten gebildet hatten. Einige Dörfer waren angezündet worden. Es hatte Berichte und Filmaufnahmen gegeben, Kinder waren aus Fenstern geworfen und auf Bayonette gespießt worden.
Mit den Ellbogen am Schalter verankert stand ich dort, lehnte mich an, kämpfte die Angst nieder und das Schwindelgefühl, das die Luft aus meinem Schädel entweichen ließ. Alles um mich herum, Aschenbecher, Kacheln, Menschen, alles waberte, dann gewann es an Schärfe, barst schier vor Realität, angefüllt mit der Essenz seiner selbst. Das muss aufhören , dachte ich, und mein Blick hielt sich an jedem Bild fest, als wäre ich im Begriff, unterzugehen. Warum sollte mir das tuberkulöse Grau der Fliesen so viel bedeuten, wenn es nicht mein letzter Eindruck von dieser Welt war, die ich gerade im Begriff war zu verlassen?
Doch jemand hinter mir schrie, eine Frau. Dann fiel etwas zu Boden, und als ich mich umdrehte, sah ich zwei Männer, die sich an die Kehle gingen. Daneben stand eine Frau, die eine Hand auf ihre Brust presste und sich mit der anderen Luft zufächerte, genau dort, wo ihr Hals auf ihre Brustplatte stieß. Ihr dunkelrotes Gesicht, in das ihr gesamtes Blut geschossen war, war gezeichnet von einer Empörung, wie sie nur Engländerinnen empfinden können.
Die beiden Männer kämpften wie bebrillte Bibliothekare, die Köpfe nach hinten gereckt, so weit wie möglich vom Kampf entfernt, die Fäuste flatterten blindlings vor den Gesichtern. Alle Schläge wurden aus den Ellbogen heraus und mit geschlossenen Augen ausgeteilt, trafen Schultern und Unterarme und meistens gar nicht. Als die Männer von der Flughafensicherheit die beiden trennten, hielt der Kavalier der Engländerin, ein weißhaariger Mann im Tweedjackett, dem immer noch eine nicht angezündete Pfeife aus dem Mund ragte, die scheußliche Krawatte des anderen in der Faust.
Und siehe da, der andere war der Geschäftsmann.
»Lasst mich los, ihr Arschlöcher, ich brech euch die Beine«, brüllte er auf Bosnisch, und sie schleiften ihn davon. Seine spärlichen, über den Schädel gekämmten Haare standen ab, als wollten sie vor seinem wilden Blick Reißaus nehmen.
»Perverser«, schrie der Engländer und sah die Frau an, die in der Zwischenzeit die Farbe gewechselt hatte. Jetzt stand sie ohne einen einzigen Tropfen Blut im Gesicht kurz vor einer Ohnmacht, und er führte sie zu
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