Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Scherben

Scherben

Titel: Scherben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ismet Prcic
Vom Netzwerk:
und sagt: »Du bist gefeuert«, dann wendet sie sich der Katze zu, dem Ottoman, dem Zweiersofa, Bens Plakat von The Endless Summer und wiederholt jedes Mal ihren Satz, bevor sie schließlich ab unter die Dusche rauscht. Sie küsst mit Hingabe, und Liebe ist für sie, sich süßes Gebäck mit Guaven und Frischkäse von der kubanischen Bäckerei die Straße runter zu teilen, händchenhaltend spazieren zu gehen, aufdie Sonne zu schimpfen und, sollte es zufällig mal regnen, alles stehen und liegen zu lassen – und zwar wirklich alles, egal, was man gerade macht – und barfuß rauszurennen und durchs nasse Gras zu laufen und die magischen Tropfen anzustrahlen, die vom Himmel fallen.
    … sie entgleitet mir.

(… zagreber tagebücher …)
    Zum ersten Mal in einem Flugzeug (London–Zagreb), und ich hatte nichts dabei außer einem kleinen schwarzen Tabakbeutel aus Leder, der wie ein zweiter kleiner Sack in meiner Unterhose hing und mein gesamtes Geld enthielt. Er schnitt mir da unten in die Haut wie ein gemeines kleines Tierchen, und ich war froh über die ständige Erinnerung daran, dass ich mein Geld noch hatte, wenigstens das, doch weil ich schwitzte, juckte es, und ich wollte mich kratzen, was nicht so richtig ging, da ich nicht alleine war.
    Der Beutel war ein altmodisches Ding mit Zugband und dem Bild einer goldenen Moschee, wofür mich Gott, davon war ich überzeugt, jeden Augenblick mit einem Maschinenschaden oder Pilotenfehler bestrafen würde, doch es passierte nichts. Die Jetmotoren brummten weiter, und der erschöpfte, ausgelaugte Geschäftsmann auf dem Platz neben mir, dessen gelockerte Krawatte wie eine tote Natter um seinen Hals hing, öffnete seinen Sicherheitsgurt und ging betrunken zur Toilette. Ich nutzte die Gelegenheit, um meine beiden Säcke so zu sortieren, dass möglichst wenig Schweiß entstand, kratzte mich heftig an den Eiern und sah aus dem Fenster.
    Irgendwo da unten hatte ich Allison und ihre Mutter in Tränen aufgelöst vor den Zigarettenauslagen eines Duty Free Shops stehen lassen und den Metalldetektor ohne Piepen passiert. Allison und ich hatten während der nächtlichen Busfahrt von Edinburgh nach London nicht geschlafen, sondern Händchen gehalten und den fast vollen Mond betrachtet, der uns folgte und durch die Fenster spähte wie eine alte Anstandsdame, die aufpasste, dass wir nichts Unanständiges trieben, während ihre Mutter auf dem Sitz hinter uns döste. Allison war in einem schlimmen Zustand. Sie hatte von der ganzen nervösen Anspannung vor meiner Abreise Pickel bekommen, ihre Lippen waren aufgesprungen und wund, und unser letzter Kuss war kurz und schmerzhaft und getränkt mit Leid. Noch nie habe ich so heftig geweint. Wir versprachen uns, täglich zu schreiben, arbeiteten uns durch unser gesamtes Repertoire intimer, schwärmerischer, jugendlicher Scherze und Verliebtheitsrituale, und dann war ich weg.
    Der Geschäftsmann kam zurück, zog sich den Reißverschluss hoch und warf einen Blick auf die Postkarte in meiner Hand, die übersät war mit Allisons Herzchen und xxx . Er schenkte mir ein halbherzig-bedrücktes Lächeln, als wäre alles im Arsch, tja, aber was soll’s. Besser bekam er das nicht hin mit seiner Visage.
    Er sagte etwas in meiner Muttersprache, eine balkan-typische sexistische Geschmacklosigkeit, und ich verzog das Gesicht, als hätte ich ihn nicht verstanden, als wäre ich ein Engländer. Ich konnte mich auf keinen Fall den ganzen Flug bis Zagreb mit einem Slawen unterhalten. Ich wollte zu unserem beiderseitigen Vorteil in Ruhe gelassen werden. Er blickte auf den Guardian auf meinem Schoß, lächelte, als wollte er sagen: Okay, ich glaube dir , dann machte er eine klobige Flasche Tanqueray auf und hielt sie mir hin. Seine Hand war klamm und glänzte. Ich lehnte höflich, aber blasiert ab, woraufhin er in lautem, knarrendem Englisch herausplatzte:
    »Auf die Liebe!« Er genehmigte sich einen augenscheinlich schmerzhaften Schluck, schüttelte den Kopf und ließ die Flasche wieder in seiner Aktentasche verschwinden. Darin befanden sich, wie ich kurz sehen konnte, außerdem noch eine Tüte Chips, eine dicke Dauerwurst und ein Keilzerlaufener Brie, die Rinde noch unberührt. Er grinste dreckig, bezeichnete mich auf Bosnisch als Schwuchtel und sah mir prüfend in die Augen. Ich schaute ihn an wie durch ein Monokel, wie der Duke of Edinburgh im neunzehnten Jahrhundert einen infektiösen Affen betrachtet hätte, der aus der Quarantäne getürmt war. Gequält

Weitere Kostenlose Bücher